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    Bruno Kreisky

    Seine Zeit und mehr 1911-1970-1983-1990

    18. September – 15. November 1998

    Bruno Kreisky

    Seine Zeit und mehr 1911-1970-1983-1990

    18. September – 15. November 1998
  • "Ich lege keinen Wert auf Kränze, die die Nachwelt mir flicht, ich lege keinen Wert auf Denkmäler (...). Worauf ich aber Wert legen würde oder was ich gerne hätte, wäre, wenn einmal die Periode, in der ich die politischen Verhältnisse in Österreich beeinflussen konnte - denn mehr als beeinflussen kann man sie ja nicht -, als eine Periode der Einleitung großer Reformen betrachtet wird, die ihre gesellschaftlichen Spuren hinterlassen und eine Besserung der gesellschaftlichen Verhältnisse gebracht haben (...). Nichts wäre grauslicher als der Gedanke, daß man nur administriert hat."

    Den "gesellschaftlichen Spuren", von denen Kreisky selbst in seinen Memoiren gesprochen hat, nachzugehen, hat sich diese Ausstellung, gestaltet von Gerlinde Hauer als Kuratorin und Peter Karlhuber als Architekt, zum Ziel gesetzt. Anlaß für die im Auftrag des Historischen Museums der Stadt Wien in Kooperation mit der Stiftung Bruno Kreisky Archiv entstandene Ausstellung ist einmal kein Jubiläum oder ein geschichtlicher Jahrestag, sondern das grundsätzliche Interesse an einer historischen Bestandsaufnahme der "Ära Kreisky", die den einen - den älteren - so vertraut, wie sie den anderen - den jüngeren - fremd ist. Umso mehr als heute, in einer Zeit dynamischer Wandlungsprozesse, immer wieder darauf Bezug genommen wird. So existieren acht Jahre nach seinem Tod und mehr als 15 Jahre seit seinem Rücktritt als Bundeskanzler nach wie vor eine Reihe höchst unterschiedlicher Bilder über Kreisky: Einige dieser "Bilder im Kopf", die sich in immer wiederkehrenden Fotomotiven, persönlichen Erinnerungen, Briefen und Geschenken an Kreisky zeigen, werden im Eingangsbereich der Ausstellung präsentiert. Sie laden die BesucherInnen ein, diesen Bildern, die eigenen Erinnerungen oder kursierenden Meinungen über Bruno Kreisky und seine Zeit gegenüberzustellen und zu hinterfragen. 

    Entgegen üblicher Politikerporträts, in denen die politischen Leistungen im Vordergrund stehen und der historische Kontext nur punktuell thematisiert wird, stehen in dieser Ausstellung gesellschaftliche Zusammenhänge im Vordergrund. Eingebettet in diesen historischen Rahmen werden die politischen Prägungen Kreiskys, seine Politik und zentrale gesellschaftliche Weichenstellungen der Ära Kreisky thematisiert. 

    Am Anfang steht der historisch-biographische Rückblick "Zwischen den Zeiten. Bruno Kreisky 1911-1946". In Form eines "Archives", einer Kombination von historischen Dokumenten und Fotos mit Auszügen aus seinen Erinnerungen, entsteht ein persönliches "Zeitbild", das von den letzten Jahren der Österreichisch-Ungarischen Monarchie über die politischen Konflikte in der Zwischenkriegszeit bis zum Exil in Schweden reicht. 

    Da dieser Erfahrungshintergrund die politischen Schwerpunktsetzungen während seiner Regierungszeit entscheidend mitgeformt hat, bildet er den "Eingang" in den Hauptteil der Ausstellung. Immer wieder werden diese historischen Bezüge - zum Beispiel im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und den katastrophalen Erfahrungen in der Zwischenkriegszeit in der konkreten Politikgestaltung der 70er Jahre sichtbar. 

    Bezüglich der "Ära Kreisky", also der Periode seiner Zeit als Bundeskanzler von 1970 bis 1983, stehen heute verschiedene Einschätzungen nebeneinander. Einerseits empfinden - nach einer 1995 durchgeführten Meinungsumfrage - 45 % der ÖsterreicherInnen diese Zeit als "goldenes Zeitalter", als eine Zeit in der es ihnen am besten gegangen sei. Gleichzeitig ist aber vielen nur das legendäre Zitat Kreiskys, "Ein paar Milliarden mehr Schulden sind weniger schlimm als ein paar hunderttausend Arbeitslose" in Erinnerung geblieben - mit einem negativen Beigeschmack versehen.

    Was charakterisiert nun diese Zeit? Was ist das spezifische an der "Ära Kreisky"?

    Eindrucksvoll in Erinnerung geblieben ist nicht zuletzt die mediale Präsenz Bruno Kreiskys. Von JournalistInnen bereits zu Lebzeiten zum "Medienzampano" und "Sonnenkönig" gekürt, schrieb er Mediengeschichte. Daß dies nicht allein auf sein rhetorisches Geschick und seine Eignung als Medienpersönlichkeit zurückgeführt werden kann, sondern vor allem auch Ausdruck eines wechselseitigen Wandlungsprozesses von Medien und Politik im "Fernsehzeitalter" ist, wird im Bereich "Medialisierung" aufgezeigt. 

    Der "Modernisierung", ihrem spezifischen Bedeutungsinhalt in den 70er Jahren, wird in einem weiteren Themenschwerpunkt nachgegangen. Wie kein anderer Politiker seiner Zeit erfaßte Bruno Kreisky die gesellschaftlichen Umbrüche und Trends seit Mitte der 60er Jahre und akzentuierte seine Politik entlang entsprechender staatlicher Rahmenbedingungen. Besonders deutlich manifestierten sich diese sozialliberalen Reformen im Rechts-, Bildungs- und Sozialbereich - mit Unterstützung einer "Wählerkoalition (...) zwischen Sozialdemokraten und fortschrittlichen, liberalen Kräften". Ziel der Reformpolitik war eine staatlich gut betreute und versorgte Gesellschaft, die sich an demokratischen Standards westeuropäischer Staaten orientierte. Natürlich ein weiteres Thema: die Wirtschaftspolitik unter dem Primat der Erhaltung der Vollbeschäftigung (Stichwort: Austrokeynesianismus).

    Die Ausstellung bleibt aber keineswegs in einer affirmativen Reflexion stehen, sondern fokussiert hier wie in den anderen Ausstellungsbereichen Konflikte, die gesellschaftliche Wandlungsprozesse akzentuieren. So wird beispielsweise im Bereich "Modernisierung" sowohl die Frauenbewegung rund um die Auseinandersetzung um die Legalisierung der Schwangerschaftsunterbrechung als auch die Ökologiebewegung, die sich gegen das "Modernisierungsprojekt" Atomkraft formiert, in ihrer Bedeutung für den Wandel der politischen Kultur dargestellt. 

    Trotz seiner Gestaltungsfähigkeit blieb auch Kreisky durchaus im "Strom" seiner Zeit, wenngleich er in vielen Sektoren seinen politischen Handlungsrahmen voll ausnützte bzw. manchmal sogar "überdehnte". So trug die "Integrationsfigur" Kreisky in seinem Bemühen um eine breite Unterstützung in der Bevölkerung sehr wohl auch zu Polarisierungen bei. Das verdeutlichen beispielsweise die heftigen emotionalen und politischen Auseinandersetzungen über die nationalsozialistische Vergangenheit von Politikern (Stichwort: Peter-Wiesenthal-Kreisky-Kontroverse). Diese werden vor den Entwicklungen seit der Waldheim-Debatte reflektiert.

    Im Bereich "Internationalisierung" wird schließlich nicht nur den Spuren der aktiven Neutralitätspolitik der siebziger Jahre nachgegangen, sondern ebenso die engagierte Nahostpolitik Kreiskys reflektiert. Gerade in diesem Abschnitt wird bewußt, wie rasch sich die geopolitischen Konstellationen seit 1989 in Europa und der Welt an sich geändert haben - tiefgreifende Veränderungen, die Bruno Kreisky in seinem letzten Lebensjahr noch deutlich gespürt hatte, ohne jedoch noch gestaltend mitwirken zu können. Daß Kreisky selbst in seiner "Domäne", der Außenpolitik, immer wieder an Grenzen stieß, wird zum Beispiel im Rahmen der Diskussion um Waffen-Exporte akzentuiert.

    Die Ausstellung skizziert das spezifische Zeitkolorit der siebziger Jahre neben einer Vielzahl von zwei- und dreidimensionalen Objekten durch eine audio-visuelle Schiene mit thematischen Film-Collagen aus der zeitgenössischen aktuellen Berichterstattung. In einem Video-Clip, gestaltet von Monica Ladurner, wird außerdem der Blick aus der Perspektive der Gegenwart durch Verwendung einer zeitgemäßen Filmästhetik unterstrichen.

    Die Ausstellung ist bewusst nicht als Einzel-Ereignis für Wien konzipiert, sondern als Wanderausstellung, die in ganz Österreich gezeigt und anschließend in New York, London und Berlin ebenfalls der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden wird. Aus diesem Grund sind die Texte in deutscher und englischer Sprache verfasst - ebenso der interessante Text-Bild-Band, koordiniert von Gertraud Diendorfer, der neben einer Reihe von akzentuierten Essays und Analysen, die an aktuelle Diskussionen anknüpfen, die Ausstellungsdokumentation enthält. In den Beiträgen kommen die durchaus kontroversiellen Einschätzungen der einzelnen Autoren zum Ausdruck. Die Bandbreite der Beiträge reicht von Kunst- und Kulturpolitik (Karl Markus Gauß, Ursula Pasterk), über gesellschaftspolitische Analysen (Eva Kreisky, Manfred Prisching), ökonomische Fragestellungen (Manfred Bachinger), internationale und europazentrierte Analysen (Otmar Höll, Oliver Rathkolb) sowie Hintergrundskizzen zum Medien-Bereich (Hans Heinz Fabris, Theo Venus). Felix Kreissler stellt zum Schluß die Grundfrage nach den Folgewirkungen der Ära Kreisky auf die österreichische Identität. Eine umfangreiche Bibliographie zu Literatur von und über Kreisky sowie ein informatives Glossar, eine Auswahl von institutionellen "Überresten" aus den siebziger Jahren, die die persönliche Handschrift des damaligen Kanzlers tragen und heute noch wirksam sind, komplettieren die Publikation.

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