Vorgestellt 54 │ Juni 2023
13 Jahre lang warst Du für die Skulpturensammlung der Alten Nationalgalerie Berlin verantwortlich, vor einem Jahr hast Du die Leitung der Restaurierung und Objektbetreuung des Wien Museums übernommen. Wie geht’s Dir mit dem Wechsel von Berlin nach Wien?
Gut geht‘s mir. Von einer Hauptstadt in die nächste. Mit dem großen Unterschied, dass man hier unheimlich schön wohnen kann. Da ich mich für Denkmalpflege und Städtebau interessiere, ist Wien mit seinen vielen Altbauten natürlich ein Traum. Ich habe mir immer schon gewünscht, in so einem Umfeld zu leben.
Und wie geht es mit dem Österreichischen?
Sprachlich werde ich das wohl nie packen. Ich werde immer als Deutsche erkannt, da brauche ich mir gar keine Mühe zu geben. Ich mache den Mund auf, und schon wissen alle, dass ich nicht von hier bin. Doch ich komme klar damit.
Und mit dem Wechsel an ein vergleichsweise kleineres Haus?
Die Nationalgalerie selber ist ja eine kleinere Einheit, aber die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die dahintersteht, ist kolossal groß. Ein richtiges Flaggschiff. Mit dem Vorteil, dass Du Teil eines Verbundes bist, super Kooperationsprojekte machen kannst. Aber weil es so riesig ist, weißt Du vieles gar nicht und viele mögliche Synergien werden gar nicht genutzt. Und es gibt einen furchtbar großen Verwaltungsüberbau mit entsprechend langen Wegen. Mit zwei Verwaltungen, zwei Presseabteilungen und und und. Wie unkompliziert und unbürokratisch es hier an meinem neuen Arbeitsplatz geht, schätze ich besonders. Mit jedem habe ich persönlichen Kontakt und alles geht schnell voran.
Aber fehlt Dir nicht der Stein? Hier bist Du nun in leitender und nicht mehr ausführender Funktion.
Die leitende, gestaltende Funktion habe ich mir schon ganz lange gewünscht und darauf hingearbeitet, indem ich immer mehr Projekte selber entwickelt, dazu Förderungen eingeworben und Teams aufgestellt habe. Die deutschen Museen sind in der Regel chronisch unterfinanziert. Um überhaupt arbeiten zu können, musst Du unentwegt Anträge einreichen, die Finanzierung selber auf die Beine stellen. Hier kann man unter ganz anderen Bedingungen arbeiten. Auch das genieße ich sehr.
Und die Arbeit mit den Händen?
Die kann ich sehr gut zu Hause kompensieren (lacht). Außerdem habe ich mich im Museum auch nicht komplett aus dem fachlichen Bereich zurückgezogen. Das eine oder andere Lieblingsprojekt habe ich mir doch unter den Nagel gerissen.
Nun bist Du für über eine Million Objekte, die größtenteils im Depot lagern, verantwortlich. Aus Stein, Glas, Metall, Stoff oder Holz. Und für ihre Erforschung und Restaurierung. Wie organisierst Du Deinen Bereich, um nicht den Überblick zu verlieren?
Ich bin ja in eine gute, bestehende Struktur hineingekommen und musste nicht alles neu erfinden. Dazu gab es eine wunderbare Übergabe durch meine Vorgängerin Elisabeth Graff. Es gibt einen zweiwöchigen Jour fixe mit allen Restauratoren und einen mit den Registrars. Neben zusätzlichen individuellen Gesprächen gibt es regelmäßige Abstimmungen während der Objektbesichtigungen jeden Dienstag im Depot. Und es gibt ein neues Format, das Werkstattgespräch. Hier geht es gar nicht um Fachlich-Organisatorisches, sondern um einen regelmäßigen Gedankenaustausch zwischen den verschiedenen Fachrichtungen über Inhalte, Konzepte und Techniken. Und das macht allen viel Spaß.
In der letzten Zeit sind einige neue Restaurator:innen ans Haus gekommen. Welchen Bereich hast Du aufgerüstet?
Den Stein natürlich. Zumindest mit einer halben Stelle. Vielleicht gab es die Idee, ich übernehme den Fachbereich auch, aber das ist bei der Restaurierungsleitung einer so breiten Universalsammlung nicht zu schaffen. Ich möchte mich wirklich der Personalleitung widmen, da sein, wenn man mich braucht. Andere Neuanstellungen waren oder sind Nachbesetzungen von Pensions- oder Karenzantritten.
Wie groß ist die Restaurierungsabteilung?
Gerade gibt es zehn Fachrestauratoren in Festanstellungen, jetzt, im Endspurt vor der Eröffnung, hat jeder noch in etwa einen Pool an fünf Externen, die für uns auf Werkvertragsbasis arbeiten.
Gibt es weitere Ausbaupläne?
Tatsächlich möchte ich gerne den Fachbereich der präventiven Konservierung einführen. Eine übergeordnete Position. Hier geht es um die Umgebungsbedingungen der Ausstellungsobjekte. Um Klima, Licht, mit Schnittstellen zu Baulichem, zu Internen Services und Publikumsservice. Nicht nur den Karlsplatz betreffend, sondern alle unsere vielfältigen Standorte.
Du bist auch die Ansprechperson für das Thema Klimakorridor?
Genau. Der Klimakorridor ist jetzt in der Energiekrise aktuell geworden. Der Deutsche Museumsbund hat, um Energie einzusparen, neue Empfehlungen herausgegeben. Ich bin ehrenamtliche Sprecherin des Arbeitskreises Konservierung / Restaurierung im Museumsbund und vertrete somit Museumsrestauratoren im deutschsprachigen Raum. Wir hatten im letzten Jahr große Diskussionen, mit dem Ergebnis, dass die Spanne der relativen Luftfeuchte für die Objekte vergrößert wurde. Noch immer ist es das Ziel, die Objekte bestmöglich zu schützen, aber im Einklang mit dem geringstmöglichen Energieverbrauch. Die Klimaanlagen werden nicht mehr nach einem Sollwert, zum Beispiel 50 % relative Luftfeuchte, eingestellt und springen an, sobald dieser unter- oder überschritten wird, sondern arbeiten mit einen Von-bis-Bereich, dem Klimakorridor.
Und das können alle Klimageräte?
Moderne Klimaanlagen können das. Wir sind hier am Wien Museum gerade in der Evaluierungsphase und schauen uns die energetische Wirkung mit Sollwert und mit Klimakorridor an. Wir haben mit unserem Haus gerade die Chance und Möglichkeit, alles auszutesten.
Und wir können fein testen, weil noch keine Objekte vor Ort sind, die darunter leiden könnten.
Genau. Ideale Testbedingungen. Wir haben für alle Objekte bereits mögliche Korridore festgelegt. Natürlich ist ein Sollwert die sicherste Variante, weil er am stabilsten ist und die Objekte keinen Klimaschwankungen ausgesetzt sind. Wenn man einen Korridor öffnet, öffnen sich auch Risiken. So haben wir Objekte herauskristallisiert, die empfindlicher sind und ein stabileres Klima brauchen. Für diese haben wir Lösungen innerhalb von Vitrinen gefunden. In die wird Silikagel ausgelegt. Das stabilisiert und gleicht das Klima in unmittelbarer Objektnähe aus.
Ein großes Anliegen ist Dir auch die Vermittlungs- und Öffentlichkeitsarbeit für das Thema Restaurierung?
Oh ja. Das Thema beschäftigt mich auch schon seit Jahren und ich habe dazu eine Tagung in Berlin organisiert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Restauratoren ein bisschen schüchtern sind und sich gerne hinter dem Objekt verstecken. Das führt dazu, dass sie über ihre wertvolle Arbeit, nämlich Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren, gar nicht reden. Das ist eine total verkehrte Welt. Vor allem: Wenn Kuratoren oder Direktoren über die Restaurierung eines Objektes sprechen, dann kommt da manchmal auch wirklich Quatsch raus. Restauratoren sind Experten und Wissenschaftler und sie sollten motiviert werden, auch selber über ihre Projekte zu sprechen.
Diese Schüchternheit erkanntest Du auch bei Dir?
Mir ging das auch so und ich habe deswegen ein Medientraining absolviert. Das hat mir total geholfen, mir Mut gemacht. Jetzt habe ich keine Scheu mehr, vor der Kamera zu reden.
Und es gibt ja viel zu erzählen. Auf wienmuseumneu.at erscheinen die Werkstattblicke, und es sind in der letzten Zeit einige Filme über Restaurierungsprojekte entstanden, die ich am Ende des Gesprächs verlinke.
Ja, die haben richtig Spaß gemacht. Mir ist es auch wichtig, über die Medienarbeit das Imageproblem der Restauratoren zurechtzurücken.
Welches Imageproblem habt Ihr denn?
Wir werden oft mit Handwerkern verwechselt, oder mit Künstlern. Das sind wir ja beides nicht, wir sind angewandte Wissenschaftler. Ich vergleiche uns gerne mit Zahnärzten. Das ist auch eine angewandte Wissenschaft. Auch sie studieren und müssen wahnsinnig viel wissen, aber gleichzeitig arbeiten sie täglich mit den Händen. Stellen eine Diagnose, machen eine Analyse und setzen eine Therapie um. Auch wir reinigen nicht nur ein Objekt, sondern steigen ganz in die Tiefe und wissen ganz genau, was wir tun. Und wir entwickeln uns immer weiter, erforschen alte Techniken und erarbeiten neue Restaurierungsmethoden.
Über welche spannenden Forschungsprojekte gäbe es gerade aktuell zu berichten?
Zum Beispiel über die „Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht“ von Teresa Feodorowna Ries aus dem 19. Jahrhundert. Bei meinem ersten Rundgang durch das Depot habe ich mich sofort in sie verliebt. So eine ausdruckvolle Skulptur! Und ich bin ja Skulpturenfachfrau. Mich hat die Geschichte interessiert, woher all die Fehlstellen kommen. Es fehlt ja die Nasenspitze der Hexe, ihre rechte Hand mit der Schere, Zehen, Teile ihrer dynamischen Haarsträhnen und der Besenstil. Ich habe mich gefragt, warum sie so unvollständig ist. Dem bin ich weiter auf den Grund gegangen. Es hat über diesen Zustand schon sehr viele Diskussionen gegeben, aber man hat sich immer gegen eine Rekonstruktion der fehlenden Teile ausgesprochen. Denn es gab die Legende, die Fehlstellen seien infolge von Vandalismus, also als Protest gegen das Kunstwerk, gegen diese Art der Darstellung einer Frau, entstanden. Und man wollte diese Geschichte erhalten.
Aber das stimmte gar nicht?
Nein, es gab Vandalismus, man hatte ihr Gesicht besprüht, aber die Hände sind mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund eines schadhaften Transports und weiterer Vernachlässigung abhandengekommen. Aber als ihr die Scherenhand abhandenkam, wurde der Skulptur auch die Geschichte genommen, die sie erzählt. Denn ohne die Scherenhand versteht man nicht, was die Hexe gerade tut. Tatsächlich werden wir jetzt die fehlenden Teile rekonstruieren. Wir haben fabelhafte entstehungszeitliche bildliche Vorlagen aus allen Perspektiven dazu in unserem Archiv gefunden. Und ich habe einen wunderbaren Bildhauer aus Berlin geholt, der das umsetzen wird.
Das ist aber heutzutage eher ungewöhnlich.
Ja, Rekonstruktion ist in der Restaurierung ein ganz heißes Eisen. Aber auch dazu gibt es einen ethischen Code, festgeschrieben in der Charta von Venedig, in der steht: Die Rekonstruktion hat dort ihre Grenzen, wo die Hypothese beginnt. Oder anders gesagt: Wenn man keine Vorlagen hat, lässt man es sein. Deswegen schreckt man auch bei der antiken Kunst eher davor zurück. Weil man ja nicht wissen kann, wie die Skulpturen damals tatsächlich ausgesehen haben.
Was macht die Hexe eigentlich mit der Scherenhand?
Sie schneidet sich ihre Fußnägel. Und jetzt bekommt sie auch ihren Besenstiel zurück. Manch einer versteht sonst doch gar nicht, dass sie eine Hexe darstellen soll.
Und wie geht es unseren Steinfiguren von St. Stephan? Ist das nicht auch ein großes Projekt von Dir?
Oh ja. Polychrome mittelalterliche Skulptur. Das lässt jedes Steinrestauratorenherz höherschlagen. Unsere neue Steinrestauratorin Anna Boomgaarden hat sie jetzt in den Fokus genommen. Bevor sie kam, habe ich gemeinsam mit Elisabeth Graff Konzepte erarbeitet, wie wir den Figuren zu einer besseren Zukunft verhelfen. Auch sie haben eine sehr bewegte Vergangenheit. Nicht nur, dass sie außen am Stephansdom den Witterungen ausgesetzt waren, auch haben sich hier Generationen an Restauratoren verwirklicht. Mit verschiedensten Ethiken und Techniken. Nicht immer zugunsten der Objekte.
In den Bereich Öffentlichkeitsarbeit fällt auch der Europäische Tag der Restaurierung hinein, den Du am Wien Museum eingeführt hast.
Es ist richtig cool, dass wir am Wien Museum die ersten in Österreich waren, die diesen im letzten Jahr zelebriert haben. In Deutschland ist das ein totales Erfolgsmodell. Die Leute waren so interessiert und haben uns die Bude eingerannt. Wir freuen uns schon jetzt auf den nächsten Tag der Restaurierung. Beziehungsweise werden es gleich mehrere Tage werden: Wir konzentrieren uns auf den Prater und werden uns im alten Pratermuseum im Planetarium, das ja unsere Werkstätte für die Restaurierung der Praterobjekte bis zur Einbringung ins neue Pratermuseum wird, unsere Arbeiten an den Objekten zeigen. Dabei geht es uns um das Thema Bewegung. Wir setzen Objekte in Bewegung und schauen uns an, wie Bewegungen auf Objekte wirken. Und stellen viele Fragen.
Und welche Fragen zum Beispiel?
Wie viele Watschen verträgt der Watschenmann? Wie viele Bespielungen hält der Kasperl aus?
Der Countdown läuft, 1.700 Objekte werden in den nächsten Monaten in das Wien Museum am Karlsplatz in die neue Dauerausstellung eingebracht. Bekommt Ihr das hin?
Mit dem super Team, sicher! Es gibt hier wirkliche Organisationsgenies. Bisher läuft alles nach Plan. Und wenn es nicht nach Plan läuft, dann passen wir uns dynamisch und flexibel an.
Die Büros sind bereits bezogen, die Werkstätten im 4. OG, Papier und Passepartourierung, Objekte, Gemälde und Holz stehen aber noch leer.
Die füllen sich Stück für Stück. Die IT-Ausstattung steht schon, für die praktischen Arbeiten fehlen noch die Laborzeilen, die kommen erst im Spätsommer (2023). Dort werden die Lösungsmittel aufbewahrt und Restaurierungsmaterialien zubereitet. Ich denke, dass im Herbst dann hier die Werkstätten in Betrieb gehen. Im Erdgeschoss gibt es dann zudem noch die Textilrestaurierung. Der Stein bleibt im Depot Himberg.
Und wenn dann im Herbst alle Objekte eingebracht und alle Werkstätten eingerichtet sind, was kommt dann als nächstes großes Thema auf Euch zu?
Dann gehen wir die anderen Standorte an. Die haben jetzt ja teilweise im Dornröschenschlaf geschlummert. Gleichzeitig erwarten wir einen großen Leihverkehr und viele Sonderausstellungen. Es wird uns nicht langweilig werden.
Nach den vielen „Wie geht’s Dir“-Fragen zu Beginn noch eine letzte: Wie geht’s Dir hier im neuen Haus?
Perfekt. Alt trifft auf neu. Und umgekehrt. Das Gebäude vereint denkmalpflegerische Aspekte mit neuester Technik. Für Restauratoren das Allerbeste.
Und findest Du die Mischung Alt und Neu gelungen?
Ja, auf alle Fälle. Es hat mir schon vom Konzept her gut gefallen. Und die allermeisten Entscheidungen, die meine Kollegen getroffen haben, hätte ich auch so getroffen.
Alexandra Czarnecki, geboren 1980 in Neiße. 2000 bis 2002 Vorpraktika zum Studium der Restaurierung in Bayern, Köln und Luxemburg. Studium der Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft an der Technischen Universität München, 2007 bis 2008 wissenschaftliches Volontariat in der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen Bad Homburg. 2008 bis 2021 für die Skulpturensammlung der Alten Nationalgalerie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatliche Museen zu Berlin, zuständig. Parallel dazu als Restauratorin in der Denkmalpflege sowie in Museen selbständig tätig und in München 2009 bis 2011 im Bayerischen Nationalmuseum in der Steinrestaurierungswerkstatt sowie 2011 bis 2013 im Doerner Institut für die Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne angestellt. Lehrveranstaltungen an der Technischen Universität München, Lehrstuhl für Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft und an der Technischen Universität Berlin, Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik. Seit 2019 Sprecherin des Arbeitskreises Konservierung / Restaurierung im Deutschen Museumsbund. 2019 bis 2021 Leitung des Forschungs- und Restaurierungsprojekts „Prinzessinnengruppe“ von Johann Gottfried Schadow in der Alten Nationalgalerie.
Seit 2022 leitet Alexandra Czarnecki die Abteilung Objektbetreuung und Restaurierung des Wien Museums.