Evi Scheller

Digitale Strategien

Vorgestellt 44 │ Oktober 2022

 

 

Mit Dir kommen wir ins digitale Museum. Du steckst gerade mitten in der Produktion eines ganz neuen, digitalen Vermittlungsangebots.

Ja, ich bin für den digitalen Guide des Wien Museums verantwortlich. Das ist eine Webapplikation, also eine Website, auf der vertiefende Inhalte zu rund 100 Objekten der neuen Dauerausstellung abgerufen werden können. Das hat nichts mit den AV-Stationen zu tun, sondern ist ein digitaler Begleiter am Handy oder Leihgerät, der den Besuch individualisiert.

 

Was meinst Du mit Besuch individualisiert?

Du suchst Dir aus, über welches Objekt Du mehr wissen willst, er inspiriert Dich zudem, nach weiterem Wissen zu suchen. Dabei folgst Du keinem bestimmten Pfad, sondern bewegst Dich frei durch die Ausstellung.

 

Und warum brauche ich ihn, zusätzlich zu den Medien-Stationen, die auch meist vertiefendes Wissen vermitteln?

Der digitale Guide hat mehrere Funktionen: Er macht Spaß, zum Beispiel für Menschen, die nicht so gerne Texte lesen, sich gerne etwas vorlesen lassen. Er bietet Inhalte in vielen Sprache an, auch in Gebärdensprache und hat eine Schiene in Einfacher Sprache. Und er kann, da er über die Website aufrufbar ist, als Vor- oder noch besser als Nachbereitung des Museumsbesuchs verwendet werden: Man kann sich die Inhalte auf eine eigene Playlist speichern und mit nach Hause nehmen. Aber das schönste Erlebnis hast Du natürlich direkt vor dem Objekt mit den Geschichten aus dem Guide im Ohr.

 

Für den digitalen Guide braucht man im Museum das Handy?

Genau. Du kommst in die Ausstellung, findest an den rund 100 Objekten einen QR-Code und ein Nummernsystem. Du steigst direkt über den QR-Code zum Objekt ein oder bist im Guide und gehst dort zu der entsprechenden Nummer. Für alle, die kein Handy haben, gibt es auch Leihgeräte im Foyer. Sowie Leihkopfhörer. Die brauchst Du auch.

 

Das hört sich nicht sehr kompliziert an.

Das soll es auch auf keinen Fall sein. Der Zugang ist ganz intuitiv, es gibt keine Hürden, Du musst nichts downloaden, nichts akzeptieren. Knowlegde wants to be free. Es ist ja der Anspruch des Wien Museums, unser Wissen möglichst barrierefrei weiterzugeben. Unsere Sammlung ist die Sammlung der Stadt, sie gehört allen, und unsere Grundaufgabe ist es, sie den Menschen so frei wie möglich zur Verfügung zu stellen.

 

Deswegen soll ja auch die neue Dauerausstellung nichts kosten. In welcher Form bekomme ich die vertiefenden Inhalte?

Als Audiofiles, Videos und Bild. Die Audiobeiträge sind wie Radiofeatures gestaltet, eineinhalb bis zwei Minuten lang. Damit haben wir eine Radioredakteurin und eine Vermittlerin betraut. Mit O-Tönen von Kurator:innen und Restaurator:innen ergeben sie kleine, abgeschlossene Geschichten. Sie sind wirklich fürs Ohr geschrieben. Es gibt kulturhistorische Informationen zu Objekten, aber auch Beiträge über besonders spannende Restaurierungsprojekte. Wir wissen, dass sich unser Publikum sehr für solche Backstage-Geschichten interessiert. Für diese kommen verstärkt Video und Bildmaterial zum Einsatz. Wir können zum Beispiel von Schieles Gemälde „Junge Mutter“ ein Röntgenbild zeigen.

 

Wie kam es zu der Objektauswahl?

Gemeinsam mit den Kurator:innen und Vermittler:innen, die ja unsere Besucher:innen besonders gut kennen, haben wir die ausgewählt, von denen wir annehmen, dass sie besonders interessant sind und zu denen es Geschichten gibt, die eventuell in der Ausstellung keinen Platz gefunden haben. Dabei wurde natürlich auch darauf geachtet, dass es eine gewisse Ausgewogenheit über die Kapitel und Themen hinweg gibt.

 

Und die wählt Ihr dann in gemeinsamen Sitzungen aus?

Ja, es gibt Redaktionssitzungen, die für mich sehr spannend sind. Ich kenne die Objekte ja oft nicht so gut und lerne sehr viel dazu, wie gerade über den Mondschein, die Bekrönung des hohen Turmes von St. Stephan. Über den man bis jetzt nicht wirklich weiß, was er bedeutet. In den Hörgeschichten kommt auch wunderbar rüber, was Forschen bedeutet, sie zeigen auch die verschiedenen Blickwinkel auf ein Objekt. Gesprächspartner sind alle aus dem Team der neuen Dauerausstellung.

 

Von Deiner Ausbildung her, Du hast Architektur bis zum Bachelor studiert und danach exhibiting/curating/managing an der Angewandten, bist Du gar nicht so digital.

Das stimmt. Ich habe am Wien Museum auch zuerst in der Direktion gearbeitet. Da hat man natürlich immer die Zukunft im Blick, überlegt sich, womit sich das Museum beschäftigen, wohin es sich entwickeln soll. Ich habe dann die Arbeitsgruppe zur digitalen Erweiterung geleitet und bin so Schritt für Schritt immer weiter in diese Materie vorgedrungen.

 

Und bist Du selber ein digitaler Mensch? Es bedarf ja auch eines gewissen technischen Know-hows.

Ich habe auf alle Fälle keine Berührungsängste mit Technik.

 

Enorm erfolgreich ist ja die Online Sammlung, die Du auch verantwortest. Vor zwei Jahren gestartet, zeigt sie mittlerweile über 80.000 Objekte, größtenteils zum freien Download. Gibt es hier ein Ziel, soll die eine Million Objekte des Wien Museums abgebildet werden?

Nein, auf keinen Fall. Uns war immer wichtig, mit einer kritischen Masse online zu gehen. Und es ist uns natürlich auch wichtig, dass diese wächst, vor allem in den Bereichen, die noch unterrepräsentiert sind.

 

Welche sind das?

Hier konzentrieren wir uns momentan besonders auf Fotos aus der topographischen Sammlung – also viele, viele historische Aufnahmen von Wiens Straßen, Plätzen und Gebäuden. Die wollen wir auch auf Karten verorten, um sie für die User:innen noch zugänglicher zu machen. Ansonsten stecken wir auch viel Arbeit in die Rechteklärung von zeitgenössischer Kunst bzw. jüngerer Dokumentation von Stadt, um auch davon mehr online zu stellen. Zur Wiedereröffnung des Museums sollen auch alle Objekte der neuen Dauerausstellung zu finden sein. Ein funktionales Ziel, mit dem wir uns nächstes Jahr beschäftigen, ist es, die Online Sammlung partizipativer zu machen. Darauf freue ich mich total, weil wir dazu auch einen Fördercall zusammen mit unserem Designpartner bleed gewonnen haben, der uns die Zeit verschafft, uns damit auseinander zu setzen.

 

Eine partizipative Online Sammlung bedeutet?

Nicht nur die Objekte sollen mehr werden, sondern auch die Interaktion mit den User:innen. Wir bekommen so viele Emails, in denen sie uns ihr Wissen mitteilen, Anregungen oder Korrekturen geben. Wir versuchen jetzt neue Formate zu entwickeln, wie wir sie aktiv als Mitgestalter:innen in die Online Sammlung holen können. Von der genauen Auswertung der Zusendungen über Umfragen bis hin zur konkreten Teilnahme zum Beispiel an Meetings. Wir werden gemeinsam überlegen, wie technische Features auf der Seite verbessert werden können und vieles mehr.

 

Klingt spannend. Wie viele User:innen nutzen im Schnitt die Homepage und wisst Ihr aufgrund der Kontakte, wer das ist?

So um die 4.000 Zugriffe gibt es monatlich. Viele Journalist:innen sind darunter, die mit unserem Material eigene Geschichten schreiben. Viele, nennen wir sie Hobbyforscher:innen, die sich für ein Thema, für einen Bezirk interessieren. Und andere Museen, die wissenschaftlich bei uns forschen. Dadurch haben sich auch neue internationale Kontakte ergeben.

 

Ein anderes, nicht minder erfolgreiches Projekt war das Postkarten-Crowdsourcing des letzten Sommers. In nur wenigen Wochen wurden 2.000 Postkarten auf einer Plattform transkribiert. Hattest Du mit dieser Geschwindigkeit gerechnet?

Ich war selber total überrascht. Damit haben wir auch wieder ein ganz neues Publikum erreicht. Viele haben ja hier angerufen, haben unsere Telefonzentrale ein paar Tage ziemlich auf Trab gehalten. Es waren eben oft ältere Menschen, die noch die schwierigen Handschriften in verschiedenen Sprachen entziffern konnten.

 

Dass Ihr diese eher analogen Menschen dann auf die digitale Plattform holen konntet, spricht für ein besonders gut aufgebautes, userfreundliches Angebot.

Dankeschön. Ich weiß auch von Leuten, die mit dem Laptop in Seniorenheime gegangen sind und mit den Bewohner:innen vor Ort gearbeitet haben. Die Plattform haben wir momentan an die Wien Bibliothek weitergegeben. Sie lassen nun Briefe transkribieren und die gemeinsame Crowd ist schon wieder extrem fleißig. Die Bibliothek sucht aber auch den direkten Kontakt zu den User:innen und lädt zu einem Crowd-Café ins Rathaus ein. Wir hätten so etwa auch gerne gemacht, nur stand hier die Pandemie im Weg. Letztendlich macht man so ein Projekt ja auch, um mit den Menschen in den Dialog zu kommen.

 

Kommen wir mal auf die Baustelle am Karlsplatz. Außer dem QR-Code, den Nummern, sowie Leihhandys und Kopfhörern stellt der digitale Guide keine Ansprüche?

Ein gutes WLAN. Das werden wir bieten können.

 

Wie geht’s Dir sonst mit dem Umbau, der sich ja nun sichtbar finalisiert?

Sehr gut. Ich hab‘ ja auch den Wettbewerb und alles mitbekommen, im Moment, als die Brücken abgerissen wurden, war ich sehr froh … ich freue mich jetzt sehr darauf, an den Karlsplatz zurückzukommen. Es verursacht eine Art Phantomschmerz, kein Haus zu haben und so selten „echte“ Besucher:innen zu treffen.

 

Zuletzt muss ich Dich natürlich fragen: Wie sieht eine Evi Scheller die digitale Zukunft des Museums?

Puh! In den klassischen Museumsaufgaben sind die digitalen Erweiterungen bereits selbstverständlich. Beim Erforschen, Vermitteln und Ausstellen hat sich bei uns wohl ein ausgewogenes Maß zwischen digital und nicht-digital eingestellt. Es gibt Museen, die denken hier in anderen Sphären, wie etwa die virtuelle Existenz im Metaversum oder NFT, also den Verkauf von digitalen Ausschnitten eines Kunstwerkes. Bei uns liegt der Hauptfokus aber auf den physischen Standorten und auf der Vermittlungsarbeit. Weiterentwickeln wird sich sicher das Thema „Wie sammeln Museen im digitalen Zeitalter“. Das Sammeln von born digital Objekten, also Objekten, die es nur in der virtuellen Welt gibt. Weiter entwickeln werden sich sicher auch die Qualität der Daten und die Vernetzungen der Online Sammlung. Ich würde sagen: Unsere Zukunft sieht ein gesundes Mittelmaß zwischen analog und digital vor. Dabei kann man ruhig auch mal mutig eine neue Technologie ausprobieren.

 

 

 

Evi Scheller, geboren 1982 in München. Sie studierte Architektur in Berlin und exhibiting/curating/managing an der Universität für angewandte Kunst Wien. Neben Mitarbeit beim steirischen herbst, am Haus der Kunst Brünn oder dem Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen hat sie auch als Gestalterin von Vermittlungsprojekten von trafo.K mitgewirkt. Seit 2012 arbeitet sie am Wien Museum und seit 2018 entwickelt sie die digitalen Strategien des Museums und ist für digitale Projekte wie die Online Sammlung oder das Postkarten-Crowdsourcing verantwortlich. Für die neue Dauerausstellung entwickelt sie einen digitalen Guide.

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