Vorgestellt 45 │ November 2022
Seit vier Jahren leitest Du die Abteilung Kommunikation und Development. Hat sich in dieser Zeit die öffentliche Wahrnehmung des viel diskutierten Umbaus des Wien Museums geändert?
Total. Von abwartend, kritisch, zum Teil ganz offen negativ, hin zu positiv, erwartungsvoll, neugierig. Sowohl in der Bevölkerung, als auch aufgrund unserer aktiven Kommunikationsarbeit, in der Presse. Wir haben den großen Vorteil, dass man die Baustelle so gut sieht. Jeden Tag kommen am Karlsplatz ca. 7.500 Menschen vorbei und sehen die Fortschritte. Dadurch bekommt man ständig Feedback. Und jetzt sieht man, was das für ein prachtvolles Gebäude wird. Über Geschmack kann man bekanntlich streiten, aber es gibt viele Menschen, die diese Architektur richtig schön finden.
In meiner Wahrnehmung ist das Wien Museum nicht das bekannteste Museum, aber das mit einem besonders hohen Sympathiewert. Siehst Du das auch so?
Ich sehe das auch so. Es hatte ursprünglich viel mit Wolfgang Kos zu tun. Mit seinem journalistischen Zugang, seinem Gespür und seiner Liebe für Themen, die aus der Stadt herauskommen, hat er diesen Sympathiewert geschaffen. Mit großen Sonderausstellungen, die klug, leicht zu konsumieren und spannend waren. Und Matti Bunzl hat das weitergeführt. Das Haus noch mehr geöffnet, indem er unsere Sammlung und unser Wissen darüber als frei zugängliche Ressource zur Verfügung stellt. Unter anderem mit dem Magazin und der Online Sammlung. Ich würde behaupten, die, die das Wien Museum kennen, mögen es. Und die anderen kennen es gar nicht.
Mit dem Büro Perndl ist das Corporate Design, also der visuelle Auftritt des Hauses, neu entwickelt worden. Was stand im Briefing, welches von den gerade skizzierten Charakteristika soll über Logo, Grafik, Farbgebung vermittelt werden?
Das jetzige Corporate Design ist aus dem Jahr 2003 und hat 20 Jahre gut funktioniert. Für das neue Wien Museum galt es, ein Corporate Design zu entwickeln, das eine hohe Qualität hat und richtig lange bestehen soll. Nicht zu zeitgeistig, nicht zu modisch. Trotzdem aufmerksamkeitsstark und wiedererkennbar. Wir haben von acht Agenturen sehr unterschiedliche Zugänge dazu bekommen. Perndl hat sofort alle überzeugt, auch weil das neue Design eine architektonische Qualität hat, passend zu Wien Museum Neu.
Ich empfinde unsere neue Wortbildmarke, die Schrifttype auch als sehr sympathisch, freundlich, offen. Das Wien Museum als öffentliches Wohnzimmer, als Haus für alle, sollte wohl auch transportiert werden?
Absolut. Da wir die Geschichte der Stadt, ihrer Bewohner:innen sammeln, erforschen und ausstellen, liegt dieser Anspruch sozusagen in den Genen des Wien Museums. Andere Museen müssen ihn erst behaupten. Und wenn es uns gelingt, den Eintritt in die neue Dauerausstellung tatsächlich gratis anzubieten, dann sind wir wirklich ein Museum für alle.
Architektonische Qualität auch, weil es mit „Wien Museum“ als Dachmarke alle Standorte grafisch sehr gut mitkommuniziert. Stört es Dich, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass das Wien Museum 21 Standorte vereint?
Ehrlich gesagt gar nicht. Wenn sich jemand sehr stark für Schubert interessiert, dann wird er irgendwann einmal auf unsere zwei Schubert-Standorte stoßen. Dass diese zum Wien Museum gehören, ist doch für Besucher:innen egal. Vom neuen Haus am Karlsplatz wird sicher eine gewisse Strahlkraft auf die anderen Häuser ausgehen. Aber es haben ja auch noch nicht alle das gleiche hohe Niveau, das jetzt der Karlsplatz haben wird. Da werden noch einige Umbauprojekte auf uns zukommen.
Wie das neue Pratermuseum, das wir gerade bauen und 2024 eröffnen möchten. Vor dem Wien Museum warst Du der Marketingleiter des Kunsthistorischen Museums. Im Gegensatz zum Wien Museum spielt hier der Tourismus eine große Rolle. War Deine Arbeit dadurch entscheidend anders?
Ja, die Hauptzielgruppe, 80 Prozent des Publikums, waren Tourist:innen, und die kommen mit ganz anderem Vorwissen und Erwartung. Das KHM ist viel stärker ausgerichtet, Umsatz zu machen. So war auch meine Arbeit viel stärker einnahmeorientiert. Es ging darum, aus Besucher:innen den größten Umsatz herauszuholen.
Umsatzorientiert ist das Wien Museum eher nicht.
Das Wien Museum ist niedrigpreisig bis überhaupt gratis und schon dadurch viel sympathischer. Hoffen wir, dass es gelingt, die neue Dauerausstellung mit freiem Eintritt zu eröffnen. Das würde die Museumsnutzung völlig ändern. Auch für Tourist:innen. In Zukunft kann man hier schnell mal vorbeikommen. Sich an einem Tag ganz intensiv mit Wien im Mittelalter, an einem anderen, frisch und ausgeruht, mit Wien um 1900 beschäftigen. Mein Ziel wäre es, im Bereich Tourismus die Besucherzahl zu verdoppeln. Das Wien Museum wird the-place-to-be sein, um Wien zu verstehen.
Du hast am KHM das „Kunstschatzi“ erfunden. Ein After-Work-Angebot an die Besucherschicht der 30- bis 40-jährigen – hat sich das auf die Besuchersegmentierung nachhaltig ausgewirkt?
Was man unmittelbar sehen konnte war, dass viele von ihnen Jahreskarten kauften. Es wurden an manchen Abenden über 100 verkauft. Auch wenn man generell die Verjüngung des Publikums nicht sieht, schon deswegen, weil eben die Anzahl an lokalen Besucher:innen nicht sehr hoch ist. Für das Wien Museum werden wir auch Angebote entwickeln, die auf diese Besuchergruppe zielen, und auch hier wird es eine Jahreskarte geben, mit der wir den Erfolg evaluieren können.
Wie siehst Du die Besuchersegmentierung im zukünftigen Wien Museum überhaupt, von der weiterhin sehr wichtigen Zielgruppe Schulen bis hin zu den verdoppelten Touristengruppen?
Der Strom an Menschen am Karlsplatz beginnt um 7 Uhr in der Früh und endet um Mitternacht. Mein Traum wäre, dass sie alle kommen. Der eine mit dem Fokus Geschichte Wiens, die andere mit dem Fokus auf eine Epoche, sie hat Lust auf 45 Minuten Barock. Ein anderer aus Liebe zu einem bestimmten Objekt, weil er so sehr auf die Aktentasche von Metternich steht und auf die Geschichten dahinter. Andere, weil sie eine Sonderausstellung sehen wollen. Hier wird sich ja nichts ändern. Wir haben nur mehr Platz, um uns mit der gleichen Qualität und Vielfalt und in unterschiedlichen Zugängen mit spannenden Themen aus der Stadt und ihrer Geschichte zu beschäftigen. Und dann wird es Leute geben, die kommen eigentlich nur wegen des tollen Shops, des Restaurants, des großartigen Blicks über den Karlsplatz. Aber weil es gratis ist, gehen sie dann noch für 10 Minuten in die Halle und sehen dem Wal beim Schweben zu.
Und um allen diesen Menschen nicht nur pekuniär einen möglichst niederschwelligen Zugang zu verschaffen, setzen wir alle unsere digitalen Kanäle und Systeme neu auf.
Ja genau, um allen Besucher:innen einen möglichst guten Service zu bieten und ihnen den Zugang so simpel wie möglich zu gestalten, wird der digitale Bereich völlig neu aufgestellt. Von der Website, übers Ticketing, Kassa, Online Shop, CMS und so weiter. Ein Museum neu zu denken, ist der Traum eines Museumsmenschen. Aber alle diese Dinge sind dienende Systeme, am besten ist es, man merkt sie gar nicht und nutzt sie so selbstverständlich wie die eigene Armbanduhr.
Und das ist eine ganz schön große Herausforderung. Apropos Digitalisierung: Wie wichtig findest Du digitale Vermittlungsangebote?
Ich glaube an die Aura des Originals. Etwas, das 500 Jahre alt ist, ist einfach schon deshalb spannend, weil es Menschen 500 Jahre lang aufgehoben, gereinigt, beschützt haben. Das ist die Basis von allem, was wir tun. Und alles, was wir dazu digital anbieten, sind Add-ons, kleine Erweiterungen dieser Aura, sind Services für Menschen, die das Original nicht sehen können oder noch mehr Informationen suchen.
Damit die Besucher:innen im neuen Haus alles finden, was sie finden sollen oder möchten, wird ein Leitsystem entwickelt. Was ist hier wichtig?
Hier hat das Büro Bauer einen sehr guten Grundsatz formuliert: Es geht nicht um den Weg, es geht um das Ziel. Wir werden sehr stark mit Bildern, zum Beispiel mit Ausstellungsplakaten arbeiten, die die Besucher:innen zu den jeweiligen Ausstellungen leiten. Auf der anderen Seite geht es darum, mit den sehr unterschiedlichen Besuchergruppen über einfache, gendergerechte Symbole zu kommunizieren. Hier geht es sehr stark um das Thema Identität – und unsere Sitzungen zu den Klobeschriftungen sind entsprechend intensiv und divers. Mühsam, aber lohnend, und am Ende ein Ausdruck der Veränderungen unserer Gesellschaft, denen ein Museum besonders in einer sozialdemokratisch geprägten Stadt Rechnung tragen muss.
Zu Deiner Abteilung gehören Marketing, Presse, Shop, das Fotoreferat und Events, also alle Veranstaltungen, die keine Führungen und Workshops sind, die wiederum über die Vermittlung laufen. Wie viele Veranstaltungen wird es im Jahr geben?
Ich denke, wir werden auf 120 bis 150 Veranstaltungen pro Jahr kommen. Einerseits sind unsere Veranstaltungen eine Fortsetzung des Bildungsauftrags des Museums. Zur Vertiefung eines Themas, für zusätzliche Perspektiven. Sei es mit Buchpräsentationen oder Diskussionen oder mit Reihen wie den Stadterkundungen. Andererseits tolle Orte für Kommunikation. Um sich mit Menschen zu treffen und zu gemeinsamen Themen auszutauschen. Hier ist es wirklich unser Anspruch, das Wohnzimmer der Wiener:innen zu werden. Und dazu stehen uns tolle Veranstaltungs- und Come together-Räume zur Verfügung.
Magst Du kurz erzählen, wo der Shop sein wird?
Man kommt durch den Pavillon durch die alte Haerdtl-Tür in das alte Haerdtl-Foyer und wird sich denken, was haben die eigentlich gemacht, das sieht ja aus wie immer. Aber gleich links gibt es eine Tür, und hier kommt man in den Shop. In dem Bereich, wo früher die Sonderausstellungen waren. Ein riesiger neuer, wunderschöner Shop, mit Fenstern raus auf die Lothringer Straße, in einem tollen, von den Architekt:innen Certov, Winkler und Ruck gestalteten Design, und mit einem breiten Angebot. Mit wechselnden Produkten, die mit der Geschichte der Stadt zusammenhängen oder Wien repräsentieren.
Du bist auch für Sponsoring und Fundraising verantwortlich. Was ist hier der Unique Selling Point des Wien Museums, das ja bei den Besucherzahlen und der Internationalität nicht mit einem KHM mithalten kann?
Der Fokus liegt ganz stark auf Inhalten. Ich glaube auch nicht an diese kundenkontaktbasierten Sponsoringpakete. Die Zahlen, mit denen hier gehandelt wird, sind doch sehr hochgerechnet. Nein, durch die Vielfalt unserer Themen und Zugänge haben wir für alle Branchen tatsächlich inhaltlich und damit qualitativ etwas zu bieten. Zum Beispiel zu Fragen wie Mobilität, Fashion, Geistesgeschichte, Krieg, Finanzen, Gesundheit… Wir haben alle Themen des Lebens in der Sammlung und in der Erzählung, und das ist ein unglaublich großes Asset. Und Teil der Eröffnung eines neuen Museums mitten in der Stadt zu sein, das finden auch alle spannend. Es ist ja wirklich die blödeste Zeit, um Fund zu raisen, die Unsicherheit steigt, Teuerung und Inflation verkleinern Budgets und überhaupt die Fähigkeit der Firmen, für die Zukunft Zugeständnisse zu machen. Deshalb schnüren wir kleine, sehr individuelle Pakete.
Also weniger Hauptsponsoren denn Objektpatenschaften?
Die beiden Hauptformate sind Ausstellungssponsoring, so wie jetzt die POST AG die Ausstellung „Wiener Ansichtskarten“ sponsern wird. Darüber freuen wir uns sehr. Und Patenschaften. Für Objekte und Themen. Wir sind in schönen Gesprächen mit einem großen Getränkehersteller, dem wir vorgeschlagen haben, circa 15 Objekte aus der neuen Dauerausstellung, die etwas mit Wasser zu tun haben, zu übernehmen. Die Wasserversorgung von Wien ist ein superspannendes Thema, und attraktiv, um sich darüber zu positionieren.
Als Du an das Wien Museum kamst, hast Du ein sehr erfolgreiches Fundraising für die Restaurierung des beliebten Stadtmodells von 1898 entwickelt. Wie viel wurde mit „Mein-Stück-Wien“ bisher eingenommen?
Um die 180.000 Euro. Und das ist beachtlich und hat uns extrem geholfen. Wir freuen uns sehr, dass so viele Häuser um 100 Euro und auch Sehenswürdigkeiten um 10.000 Euro Pat:innen gefunden haben. Das Burgtheater, apropos, wäre noch zu haben.
Leider zu groß für meinen Geldbeutel. Ein anderes Projekt, das Du in den letzten Monaten intensiv begleitet hast, ist die Ausschreibung der Gastronomie. Erstmals wird das Wien Museum ein eigenes Restaurant haben, mit Catering für Veranstaltungen und einem kleinen Café im Terrassengeschoß. Was war Dir hier wichtig?
Wir wollen, ganz simpel, Wiener Küche. Das klingt jetzt sehr banal, aber richtig gute, leistbare Wiener Küche gibt es in Wien gar nicht so oft. Dabei soll das Restaurant unten, mit je 70 Plätzen innen und außen und mit Öffnungszeiten über den Museumsbetrieb hinaus, auch ganz autonom funktionieren, mit eigener Marke und eigener Strahlkraft. Und das wird es auch haben, alleine schon, weil es in dieser Ecke der Stadt eigentlich nichts gibt.
In heutigen Zeiten, mit der Pandemie und der wirtschaftlichen Unsicherheit, ist es sicher sehr schwierig, einen Pächter zu finden.
Mit Wien Museum Neu haben wir generell immer wieder ein echtes Mazel gehabt. Das Wien Museum Karlsplatz wurde schon vor der Pandemie geschlossen, so gab es keine plötzlichen Umsatzeinbrüche, das 1.000 Tonnen schwere Stahlgerüst wurde geliefert und montiert, bevor der Krieg ausbrach. Mit unserem starken Baupartner, der PORR AG, wird es gelingen, das Museum Ende 2023 zu eröffnen. Es wird uns auch gelingen, für das Wien Museum-Restaurant einen starken, wirtschaftlich soliden Partner zu finden. Aber es ist definitiv die schwierigste Zeit dafür, die Branche stöhnt und ächzt.
Magst Du kurz skizzieren, wie unser Marketingplan bis zur Eröffnung in etwa aussehen wird?
Bis jetzt war unsere ganze Kommunikation auf die Baustelle ausgerichtet. Nachdem der Umbau selber bald abgeschlossen ist, holen wir jetzt nun das, was in Zukunft dort drinnen zu sehen sein wird, vor den Vorhang: Mit „Wien in 50 Objekten“ wird ab 14. November jede Woche im Newsletter, auf der Website und auf anderen Kanälen ein Objekt aus der neuen Dauerausstellung vorgestellt. Long time no see – aber bald wieder im neuen Museum. Dann gehen wir davon aus, dass wir im März 2023 das fertig gestellte Gebäude von der PORR erhalten und möchten es an einigen Tagen, als Open House, vielen Menschen, die uns seit Jahren begleiten, zeigen. Bevor dann tatsächlich die neue Dauerausstellung aufgebaut und eingerichtet wird. Im Herbst werden wir das neue CD, die neue Website, das Online-Ticketing präsentieren – und dann soll es bereits möglich sein, sich Timeslot-Tickets für die Dauerausstellung, Workshops etc. zu buchen.
Im nächsten Sommer siedeln wir, die Mitarbeiter:innen, an den Karlsplatz zurück. Was wird dann Dein Lieblingsplatz sein?
Die Terrasse, ganz klar. Ich bin ein Outdoor-Typ. Da werde ich dann auf die Karlskirche und auf die Wipfel der Bäume blicken und fühlen, ich bin im Zentrum der Stadt.
Florian Pollack wurde 1971 in Wien geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Wien, Innsbruck und Paris arbeitet er u.a. für die Kunsthalle Wien, den ORF und die Rechtsdatenbank GmbH, 2000 bis 2007 übernimmt er den Bereich Corporate Communication bei dem Telekommunikationsanbieter ONE (heute Drei), 2008 bis 2013 gründet er mit Goodville Consulting ein Beratungsunternehmen für den Bereich Corporate Social Responsibility, von 2013 bis 2018 ist er der Marketingleiter des Kunsthistorischen Museums und seit 2018 leitet er die Abteilung Kommunikation und Development des Wien Museums. Er sitzt im Aufsichtsrat von Neunerhaus und Groundtruth und singt im Wiener Jüdischen Chor.