Vorgestellt 37 │ Mai 2022
Du eröffnest am 18. Mai 2022 die Ausstellung „Augenblick!“, arbeitest auch an dem Sonderformat der „Stadtfenster“ in der neuen Dauerausstellung, und Du leitest die Abteilung Digitales Sammlungsmanagement.
Ja, das stimmt. Unter Wolfgang Kos habe ich neben meiner kuratorischen Ausstellungstätigkeit den Bereich des digitalen Sammlungsmanagements ins Leben gerufen. Ich bin dafür verantwortlich, dass die Sammlungen des Wien Museums in unserer Datenbank wissenschaftlich erfasst und inventarisiert werden.
Das ist auch die Basis unserer neuen Online Sammlung, wo sich User:innen Objektfotos größtenteils kostenlos herunterladen können.
Ja, aber die Online Sammlung selbst wird von meiner Kollegin Evi Scheller betreut. Die Sammlungsdatenbank ist vor allem dafür da, dass alle Abteilungen des Museums darauf zugreifen können, unser ganzer Workflow, vom Leihverkehr bis zur Ausstellungsproduktion, wird über sie abgewickelt. Kuratorin mit einem eigenen Sammlungsbereich wurde ich unter der Direktion von Matti Bunzl, nachdem wir mit Hilfe des Fotohistorikers Anton Holzer eine große Fotosammlung von Robert Haas ins Haus holen konnten. Einige 1.000 Fotos und Negative haben wir von seinen Töchtern aus New York bekommen.
Das war dann sozusagen der Start Deines Sammlungsbereichs „Fotohistorische Sonderbestände“.
Sozusagen. Es gibt ja im Wien Museum nicht die eine Fotosammlung, sondern die Fotos teilen sich thematisch auf verschiedene Sammlungsbereiche wie Topografie, Porträts, Ereignisse, Kunst etc. auf. Darunter gab es Fotos, die eine Art Leben zwischen Kunst und Dokumentation führten, die haben wir meinen Sonderbeständen zugeordnet. Wie zum Beispiel der große Bereich der Exilfotografie, in den auch Robert Haas gut reinpasste. Die Fotografie als Medium selbst ist in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Sammlungen gerückt. Wir haben uns entschlossen, Fotokonvolute von Fotograf:innen zu sammeln und deren Fotos nicht immer auf die verschiedenen Bereiche aufzuteilen. Wie zum Beispiel bei Robert Haas. Mein anderer Schwerpunkt sind Frauen in der Fotografie, hier kommen zum Beispiel die Fotos von Elfriede Mejchar, Lilly Joss-Reich oder Trude Fleischmann ins Spiel.
Apropos Trude Fleischmann, das war ein Ankauf vor zwei Jahren?
Nein kein Ankauf, sondern eine Schenkung. Da bekamen wir Fotografien aus den USA. Trude Fleischmann war eine gute Freundin von Robert Haas und war dort häufig zu Besuch und hat der Familie scheinbar immer wieder Fotos geschenkt, die jetzt an unser Museum kommen. Zusätzlich zu den Fotos von Trude Fleischmann hat uns die Tochter auch weitere Negative oder Vintageprints von Robert Haas übergeben.
Gab es auch Fotos in der musa-Sammlung, die vor ein paar Jahren ins Wien Museum kam?
Natürlich, hier habe ich während der Digitalisierung tolle Schätze entdeckt, wie die Fotos von Franz Hubmann. Die Fotos von ihm, aber auch viele Fotos von Didi Sattmann, die er all die Jahre für das Wien Museum aufgenommen hat, haben mich auf die Idee der Straßenfotografie-Ausstellung gebracht.
Am 18. Mai 2022 wird die Ausstellung „Augenblick! Straßenfotografie in Wien“ eröffnet. Du kuratierst sie gemeinsam mit Anton Holzer. Wie viele Fotos habt Ihr dafür gesichtet?
Schätzungsweise 75.000, teilweise in der Datenbank, aber vor allem im Depot selbst. Anton Holzer und ich haben ein Jahr lang drei Mal die Woche jeweils einen halben Tag die Fotos auch tatsächlich gesichtet. Weil die Fotos eben nach Topografie oder beispielsweise nach historischen Ereignissen sortiert und inventarisiert sind, haben wir sie auf unser Thema hin, Alltagsleben auf den Straßen Wiens, einzeln durchgesehen.
Habt Ihr Euch schon während der Sichtung für eine thematische und nicht chronologische Ausstellung entschieden?
Eine chronologische Ausstellung wollten wir von Anfang an nicht. Sagen wir es so: Bei der Durchsicht der Fotos haben sich recht bald auch Themengruppen aufgetan, und so haben wir die Fotos nach diesen Motiven gesucht und sortiert, nach denen wir sie jetzt auch ausstellen. Daraus haben sich Kapitel wie „Unterwegs in der Großstadt“, „Schriften, Bilder, Zeichen“ oder „Stadt der Frauen, Stadt der Männer“ ergeben. Ich muss auch sagen: Ich arbeite sehr gerne mit Anton Holzer zusammen. Weil wir eine ähnliche Sicht auf Fotografie haben, beziehungsweise darauf, wie wir uns Ausstellungen vorstellen.
Und wie kam dann die Auswahl in die Ausstellung?
Wenn wir uns für ein Foto als möglichen Kandidaten entschieden haben, haben wir es mit dem Handy fotografiert, ausgemessen und überprüft, ob es in der Datenbank richtig bezeichnet ist. Dann haben wir das Arbeitsfoto in die Datenbank eingespielt und dort in den Ausstellungsbereich verschoben. So kommt dann Stück für Stück eine mögliche Auswahl zusammen.
Dafür erscheint mir ein Jahr, in dem ja auch noch die Ausstellung konzipiert und der Katalog fertiggestellt wurde, gar nicht lange. Du bist Kunsthistorikerin und gelernte Fotografin. Aber wenn man beruflich so viel mit Fotos zu tun hat, hat man dann überhaupt noch Lust, zu fotografieren?
Nein (lacht). Meine Fotografierlust beschränkt sich auf Handyfotos im Urlaub. Im Katalog werden übrigens noch wesentlich mehr Fotos gezeigt als in der Ausstellung. Das ist besonders fein, denn zu entscheiden, welche Fotos in der Ausstellung nicht gezeigt werden können, ist immer unglaublich schwer.
Wie viele Fotos haben wir wohl insgesamt in der Sammlung?
Puh, das kann ich schwer sagen. Sicher um die 300.000.
Für Wien Museum Neu beschäftigst Du Dich mit dem Medium Film. Die „Stadtfenster“, die Du mit Isabel Termini und Gunda Achleitner gestaltest, holen, wenn man das so sagen kann, aktuelle Stimmen aus der Stadt per Video in die neue Dauerausstellung.
Genau, das Video ist das wiederkehrende Format in der Ausstellung und soll Stimmen aus der Stadt direkt ins Museum bringen. Mit Kolleg:innen aus der Vermittlung stellen wir Kontakt zu verschiedenen Communities her und arbeiten gemeinsam an den Stadtfenstern. Der Austausch und die Arbeit mit Gruppen außerhalb des Museums, die Impulse, die sich daraus ergeben, werden in Zukunft die Arbeit im Museum immer mehr bestimmen. Nehmen wir als Beispiel Fridays for Future: Wir haben jetzt bei einem ihrer Klimastreiks gedreht und Interviews zum Thema Umwelt und Klima geführt. Vielleicht gibt es in zwei Jahren eine neue Bewegung zum Umweltschutz, dann werden wir uns mit dieser treffen und einen weiteren Film dazu drehen. Deswegen haben wir uns auch für das Format Video entschieden, weil es leicht umsetzbar ist. Wir können somit immer wieder neue aktuelle Themen in die Dauerausstellung holen.
Das Video ist also nur die Spitze des Eisbergs. Es geht eigentlich um den Austausch mit Communities?
Genau, es geht uns um Partizipation und Austausch: Themen aus dem Museum in die Stadt und Themen aus der Stadt ins Museum zu bringen.
Trifft man in allen Kapiteln der Ausstellung auf die Stadtfenster?
Nein, es gibt sechs Stadtfenster, pro Stockwerk zwei, zu unterschiedlichen Themen. Wir haben uns hier an die Fragestellungen, welche die Kurator:innen in ihren Kapiteln bearbeiten, angehängt. Gleich am Anfang, wo es um den Naturraum geht, gibt es ein Stadtfenster zum Thema Umwelt. In der Ausstellung geht es darum, wie die Menschen über Jahrhunderte in ihre Umwelt eingegriffen haben. Hier wollen wir einen direkten Bezug zur heutigen Zeit herstellen und eben das Video mit Aktivist:innen rund um die Bewegung Fridays for Future mit der Ausstellung in Verbindung bringen. Es geht uns im Prinzip immer darum, einen direkten Bezug von der Vergangenheit in die Gegenwart herzustellen.
Spannend, wie geht’s weiter?
Im Kapitel zum Mittelalter geht es auch um Ausbildung und Handwerk, hier arbeiten wir beispielsweise mit einer Berufsschule zusammen und schauen uns die heutigen Möglichkeiten von Ausbildung und Chancengleichheit an. Im Kapitel zur Renaissance geht es um die Stadt der Bürger:innen. Wer hat die Stadt verwaltet, wer war Teil davon. Hier haben wir dann ein Stadtfenster zum Thema Teilhabe und Demokratiepolitik geplant. Wie und wer kann heute aktiv am politischen Leben teilnehmen? Wer hat Zugang zu politischen Prozessen? Da stellte sich für uns beispielsweise die Frage des Wahlrechts. Deshalb haben wir 2020 die „Pass-Egal“-Wahl am Viktor-Adler-Platz gemeinsam mit der Volkshilfe und SOS-Mitmensch organisiert und per Video begleitet. Wir haben sowohl Stimmen von Aktivist:innen als auch von Menschen von der Straße eingeholt, die auch nicht immer positiv waren. In anderen Stadtfenstern bearbeiten wir Themen zu Arbeit und Armut oder zu Erinnerungskultur.
Wie sind die Stadtfenster in der neuen Dauerausstellung gestaltet, wie sehen sie aus?
Von der Grafik her heben sie sich stark vom Rest der Ausstellung ab, es soll richtig aus der Grafik „herausgrätschen“. Die Stadtfenster sind als eine Intervention zu sehen, auch von der Architektur her.
Aber ich brauche Kopfhörer?
Ja genau. Einen Kopfhörer brauche ich wohl immer. Manchmal kann ich aus mehreren Interviews auswählen, andere Filme werden im Loop gezeigt. Manche Filme basieren auf gemeinsamen Projekten mit Communities, andere auf Straßeninterviews. Es bleiben Videos, aber die Filme selber sind völlig unterschiedlich.
Dreht immer das gleiche Filmteam und wer produziert die Filme?
Das drehen immer ganz unterschiedliche Filmer:innen, damit jedes Stadtfenster auch filmisch einen eigenen Stil bekommt. Gemeinsam mit uns schneiden sie die Filme, und die Letztbearbeitung macht dann eine eigene Firma, die alle unsere Audio- und Videostationen gestaltet.
Unter dem Vorplatz sind neue Depotflächen entstanden, die Grafiksammlung wird hierher zurückkommen, auch die Fotos?
Teile, wie die topografischen Fotos und die Porträtsammlung. Das sind die Fotos, die auch am meisten nachgefragt werden und dann im neuen Studiensaal vorgelegt werden können. Die Sammlung, die ich bearbeite, wird physisch im Depot in Himberg bleiben. Aber nachdem diese Fotos alle digitalisiert sind, ist der Aufbewahrungsort ja nicht mehr so wichtig.
Braucht eine Fotosammlung auch eine Restaurierung? Eine Werkstatt?
Ja, klar. Zum Teil müssen die Fotos gereinigt werden und wenn etwas eingerissen oder beschädigt ist, muss das konservatorisch behandelt werden. Wir haben ja auch historische, sehr alte Fotobestände, nicht nur auf Papier. Wie beispielsweise Ferrotypien, ganz frühe Schnellfotografien auf Blechplatten. Oder Daguerreotypien aus der Zeit um 1840. Hier braucht es Expertenwissen, um die Bestände auch für die Zukunft zu bewahren.
Was kommt für Dich nach „Augenblick!“?
Ich arbeite schon an einer weiteren Ausstellung, über die Fotografin Elfriede Mejchar. Eine Kooperation mit der Landesgalerie Niederösterreich und vielleicht noch mit anderen Partnern. Sie wird 2024 zu ihrem 100. Geburtstag rauskommen. Es soll eine große Ausstellung zeitgleich an verschiedenen Orten sein. Bei uns wohl im musa, das nach der Eröffnung am Karlsplatz ein Standort für Gegenwartskunst und Fotografie bleiben soll.
Was bekommst Du vom Umbau am Karlsplatz mit?
Grundsätzlich bin ich mal froh, dass er gemacht wird. Das alte Haus war fürchterlich beieinander. Ich finde den Entwurf nicht schlecht, bin froh, dass er so zurückhaltend ist. Vor allem finde ich es toll, dass es wieder ein solitärer Bau sein wird.
Worauf freust Du Dich im neuen Museum?
Dass wir Büros haben werden, ohne eine Klimaanlage aus den 1970er Jahren! Das Raumklima war eine Katastrophe. Ich freue mich auf den Ausblick von der Terrasse und auf den Karlsplatz selber. Ich mag den total gerne, einer der wenigen Plätze in Wien, wo du ohne Konsumzwang verweilen kannst.
Frauke Kreutler, geboren 1970 in Klagenfurt; Ausbildung zur Fotografin, Studium der Kunstgeschichte in Wien und Dublin; 2001 bis 2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Fotosammlung der Albertina Wien bei Dr. Monika Faber; 2009 Lehrbeauftragte an der Universität Wien, Institut für klassische Archäologie; seit 2003 Kuratorin im Wien Museum, ab 2017 mit der Sammlungstätigkeit für fotohistorische Sonderbestände. Zahlreiche Ausstellungen, u. a. über die Fotograf:innen Robert Haas, Andreas Groll, Edith Tudor-Hart, Trude Fleischmann; Aktuelle Ausstellung: „Augenblick! Straßenfotografie in Wien“, 2022, gemeinsam mit Anton Holzer. Seit 2008 Leiterin der Abteilung Digitales Sammlungsmanagement im Wien Museum.
Für die neue Dauerausstellung entwickelt sie mit Gunda Achleitner und Isabel Termini die „Stadtfenster“.