Vorgestellt 29 │ November 2021
Du bist gerade ganz schön im Stress?
Ja, es gibt immer viel zu tun. Robert, Irina, Sanja und ich arbeiten zur Zeit an Materialmusterbögen für die einzelnen Kapitel der neuen Dauerausstellung (Anm.: Robert Rüf, Irina Koerdt und Sanja Utech). Diese werden kommende Woche vor Ort gemeinsam mit Materialmustern und -proben präsentiert.
Wie sehen denn Eure Musterbögen aus?
Das sind Faltpläne im Format DIN A1, auf denen die Materialien und Produktionstechniken, die wir für die Gestaltung der Dauerausstellung vorschlagen, zusammengestellt sind. Und darauf platzieren wir die Materialproben … als haptische Muster zum Angreifen.
Das heißt mit Holz- oder Eisenteilen?
Ja genau, verschiedene Holzmaterialien, Metalle, unterschiedliche Beschichtungen, verschiedene Platten und Stoffe, Archivmaterialien, Kartons, Papiere. Die einzelnen Kapitel der Dauerausstellung unterscheiden sich ja sehr in ihrer Gestaltung und in den verwendeten Materialien. Und diese sprechen wir jetzt Kapitel für Kapitel mit den verantwortlichen Kurator:innen durch – und natürlich auch mit den Restaurator:innen und den Kolleg:innen von der Ausstellungsproduktion, um wirklich allen Anforderungen gerecht zu werden.
So einen Musterbogen stelle ich mir sehr bunt vor.
Das sind sie – bunt und sehr individuell. Bisher haben wir daran gearbeitet, gestalterische Lösungen und Formen im Raum zu finden, die die Erzählung der Ausstellung bestmöglich unterstützen und tragen. Zu diesen Entwürfen kommen jetzt Materialien, Farben und Lichtstimmungen hinzu. Es wird also schon sehr konkret und anschaulich und auch bunt.
Und gebaut werden damit dann?
Vitrinen, Regale, Wände, Tafeln, Vertiefungselemente, Hands-on, … einfach alle Elemente der Ausstellungsgestaltung.
Das ist die Arbeit von Robert, Irina und Sanja von koerdtutech und Dir. Wobei Du besonders für die Grafik zuständig bist.
Ja genau. Wir arbeiten gemeinsam an der Gestaltung. Robert, Irina und Sanja mit Schwerpunkt Architektur. Mein Schwerpunkt ist die Grafik. Hier arbeite ich mit Martin Embacher zusammen. Basierend auf dem grafischen Gestaltungskonzept erarbeiten wir zur Zeit Basislayouts für verschiedene grafische Elemente und die Basisformensprache für Infografiken und Illustrationen.
Robert Rüf erzählte, die Architektur unterscheidet sich pro Kapitel, die Grafik verbindet alle.
Unser Konzept ist, dass die Ausstellungsarchitektur für jedes Kapitel unterschiedlich und individuell ist und auf die Inhalte der Erzählung eingeht. Sowohl durch die Gestaltung wie auch durch die Materialien. Diese abwechslungsreiche Gestaltung der Kapitel soll auch dafür sorgen, dass die Besucher:innen nicht müde werden. Dass jeder neue Raum überrascht und zum Erkunden einlädt. Das grafische Konzept ist hingegen die durchlaufende Konstante. Sie holt die Besucher:innen am Beginn ab, begleitet sie durch die gesamte Ausstellung, hilft bei der Orientierung und ist vertrautes Vokabular. Sie unterscheidet sich nicht in den verschiedenen Kapiteln. Es sind wiederkehrende Elemente, die sich über alle drei Ausstellungsebenen und die Halle ziehen und somit die gesamte Ausstellung verbinden. Und zusätzlich zu diesem Strang gibt es auch individuelle grafische Interventionen, die aus dem Inhalt resultieren. Zudem sind in zeitlichen Abständen unterschiedliche thematische Wegangebote angedacht. Sie sind farblich codiert und ermöglichen, dass die Ausstellung immer wieder anders gelesen werden kann.
Wie macht Ihr die Struktur der Ausstellung grafisch sichtbar?
Die Dauerausstellung ist chronologisch angeordnet. Wir verstehen die Kapiteltexte als strukturierende „Lesezeichen“ im Lauf der Geschichte. Sie lehnen als Landmarks am Beginn der Kapitel.
Wie sind Eure Textflächen strukturiert?
Jedes Kapitelelement – jedes „Lesezeichen“ – besteht aus einer dreiteiligen Tafelcollage. Die übergeordnete Tafel trägt den Thesentitel, der skizziert, wie das jeweilige Kapitel gelesen bzw. betrachtet werden kann. Zum Beispiel „Wer schreibt Geschichte?“ oder „Unter der Oberfläche“. Dann gibt es die Tafel mit dem sachlichen Kapiteltitel samt Kapiteltext. Und die dritte Tafel trägt Infografiken. Sie dient der zeitlichen und geografischen Orientierung. In jedem Kapitel wird die Stadt in ihrer Zeit kartografisch dargestellt – verlinkt mit kartografischen Elementen des heutigen Wien – damit die Besucher:innen Anknüpfungspunkte zu „ihrer“ Stadt haben. Zudem gibt es noch statistische Grafiken, zum Beispiel zur Bevölkerungsentwicklung.
Und die Objekttexte?
Wir greifen hier auf Erfahrungen der Ausstellung „Wien von oben“ zurück. Nicht die Objektbasisinfos wie Titel, Jahr, Künstler, Material stehen als Erstinformation beim Objekt, sondern eine übergeordnete Headline und ein erklärender Text sind vorangestellt. Sie „verorten“ das Objekt und seine Rolle in der Erzählung. Dem untergeordnet folgen erst die technischen Angaben – vom Objekttitel bis zu den Leihgeber:innen – wie eine Quellenangabe. Diese Umkehr der oft üblichen Texthierarchie hilft den Besucher:innen, die Ausstellung schnell in ihren Grundzügen zu erfassen.
Aber hier arbeitet Ihr noch mit Blindtexten?
Wir arbeiten jetzt mit Probetexten. Die Erstellung der Texte hat einen eigenen Workflow – mit einer eigenen Textredaktion. Wir bekommen die lektorierten Texte samt englischer Übersetzung in mehreren Tranchen im nächsten Jahr.
Ist die Typografie bereits festgelegt?
Wir haben sehr intensiv verschiedene Schriften getestet, die wir in einer engeren Auswahl zusammengestellt hatten, und haben uns jetzt für die Schrift entschieden, die am besten unseren Anforderungen entsprochen hat. Die Theinhardt – eine serifenlose Schrift, entworfen vom Schweizer Schriftgestalter François Rappo. Sie ist sehr gut ausgebaut, hat viele Schnitte, läuft gut, ist sehr gut leserlich, zeitlos und basiert auf der Akzidenz Grotesk und ihren Vorläufern. Was ich sehr mag, sind die schrägen Enden – zum Beispiel beim kleinen „s“ oder beim kleinen „g“. Das finde ich wesentlich charmanter, als die horizontal geschnittenen Enden bei der Helvetica. Und die Ziffern sind auch sehr besonders.
Nach welchen Gesichtspunkten wurde sie ausgewählt?
Ganz wichtig natürlich ist ihre Leserlichkeit. Das heißt, dass sie nicht nur lesbar, sondern eben sehr gut und leicht zu lesen und zu erfassen ist. Wichtig ist auch, dass sie zeitlos und nicht zu trendig ist. Ich finde, die Schrift für eine Dauerausstellung soll nicht laut sein und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie soll zurückhaltend sein – und trotzdem einen eigenen Charakter haben.
Aber gibt es hier Normen, zum Beispiel für die Schriftgröße?
Beim Festlegen der Schriftgrößen spielen ganz viele Faktoren zusammen. Zuerst natürlich mal inhaltliche Kriterien – die Hierarchie innerhalb der Textstruktur in der Ausstellung. Es muss für die Besucher:innen ganz klar sein: Was ist der übergeordnete Text, was ist wichtig, um den Raum zu verstehen. Was spricht für den Raum als Ganzes, was für einzelne Bereiche, was für das Objekt. Vom Großen ins Kleine. Je mehr ins Detail gegangen wird, desto kleiner ist die Schriftgröße. Und dann hat es natürlich mit ganz praktischen Dingen zu tun – welchen Abstand haben die Betrachter:innen oder die Betrachterin zum Text, wo ist der Text im Raum positioniert, auf welcher Höhe, …. ist der Text gerade oder schräg angebracht? Wie ist die Lichtsituation? Wie ist die Materialität? Der Kontrast?
Zur Haptik: Was gibt es hier für Möglichkeiten?
Wir arbeiten mit Texttafeln. Direktdruck auf verschiedene Materialien. Das hat mit Wartbarkeit und Austauschbarkeit zu tun. Klebebuchstaben und Klebefolien haben wir für die Anwendung in der Dauerausstellung ausgeschieden. Wir drucken direkt oder fräsen oder gravieren.
Liegt hier der Unterschied zur temporären Sonderausstellung?
Ja. Alles muss robust sein, einfach zu warten, einfach zu reinigen und einfach auszutauschen. Haltbar und beständig. Es soll ja auch noch nach Jahren gut aussehen.
Müssen die Besucher:innen denn der Chronologie der Kapitel bzw. dem Leitsystem folgen?
Nein, das müssen sie nicht. Sie können sich kreuz und quer bewegen, von vorne nach hinten oder andersrum. Es gibt als Basisgerüst zwar die chronologische Ordnung. Aber jeder kann seinen eigenen Weg durch die Ausstellung definieren. Die „Lesezeichen“ helfen dabei, sich zu orientieren und den Überblick zu behalten, wo man sich in der Erzählung befindet.
Und es gibt ja auch einen Raum, der dann aus der Chronologie herausfällt, weil man in diesen immer wieder rein- oder rauskommt, den sogenannten Vergangenheitsbewältigungsraum. War dieser eine besondere Herausforderung?
Ja, dieser Raum ist extrem spannend, weil er sich von allen anderen Räumen total unterscheidet. Schon alleine deshalb, weil er auf den ersten Blick keine Objekte zeigt. Das ist verstörend. Man kommt in einen sehr stillen Raum, archivartig, mit geschlossenen Türen. Besucher:innen erschließt er sich nicht von selbst, sie oder er muss aktiv werden. Ich finde, das ist eine sehr schöne Metapher – jeder muss sich selbst mit der Vergangenheitsbewältigung aktiv auseinandersetzen. Das ist Arbeit.
Und was ist hier die Rolle der Grafik?
Es gibt kleine Teaser, kleine Textelemente, an den Türen. Diese Texte sollen neugierig machen – und Besucher:innen animieren die Türen und Laden zu öffnen. Hinter den Türen befinden sich die Objekte mit ihren Geschichten. Bei der Beschriftungsart der Teaser an den Außenseiten haben wir uns für Metallhalterungen entschieden – vergleichbar mit Beschriftungen in Archiven oder an Ladenschränken. Es geht hier um die Austauschbarkeit der Geschichten. Es soll kein Eindruck eines abgeschlossenen Archivs erweckt werden – im Gegenteil.
Hast Du das alles im Grafik Design-Studium gelernt?
Ich habe an der Angewandten Grafik Design studiert. Man lernt dort auch grafisches Handwerk – aber vor allem habe ich gelernt, konzeptionell und fächerübergreifend zu denken. Aus verschiedenen Perspektiven auf die Dinge zu blicken. Was mich total geprägt hat und mir immer noch sehr wichtig ist, ist der konzeptionelle Ansatz. Dass es nicht in erster Linie darum geht, dass etwas „schön“ aussieht, sondern dass es darum geht, die richtige, die passende Form für einen Inhalt zu finden. Dass es darum geht, den Inhalt zu verstehen und zu hinterfragen. Es ist Arbeit am und mit dem Inhalt. Das ist das Faszinierende an der Arbeit im Museum – der inhaltlich tief gehende Austausch mit den Kurator:innen. Ich bin gern von Anfang an in Projekte eingebunden, um möglichst früh in die Konzeptarbeit involviert zu sein. Ich denke, dass die Gestaltung auch immer wieder den Inhalt verändert und umgekehrt. Dieses Wechselspiel ist das Schöne an der Arbeit.
Du hast auch noch Kunstgeschichte studiert und die Lehrgänge Ausstellungsdesign und -management absolviert. Besser kann man wohl für die Arbeit am Museum nicht ausgebildet sein.
Ich glaube, es passt ganz gut (lacht). Ich hatte mit Kunstgeschichte angefangen und zwei Jahre später mein Studium an der Angewandten begonnen. Das Kunstgeschichte-Studium habe ich dann erst nach dem Grafik Design-Studium abgeschlossen. Ich finde Kunstgeschichte nach wie vor spannend. Jede Erfahrung, jedes Wissen, das man hat, hilft dabei, Dinge aus anderen Perspektiven sehen zu können.
Du arbeitest ja schon seit 17 Jahren für das Wien Museum und ich kann mir vorstellen, dass sich unsere Kurator:innen auch einfach freuen, auf jemanden zu treffen, der so viel von der Materie versteht. Hat sich eigentlich in den 17 Jahren etwas im Bereich Grafik geändert?
Was sich sehr verändert hat, ist, dass die Informationsvermittlung, sehr stark an Stellenwert gewonnen hat. Es wird sehr darauf geachtet, wie die Inhalte einer Ausstellung so aufbereitet werden können, dass sie leicht verständlich vermittelt werden – für Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft. Die Besucher:innen sind zurecht immer stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Das Thema Barrierefreiheit ist enorm wichtig geworden. Dabei geht es einerseits um Architektur, um die Zugänglichkeit von Räumen, um Unterfahrbarkeit von Tischen, …, und andererseits geht es aber auch darum, wie die Sprache formuliert ist, wie der Text strukturiert und gestaltet ist, wie komplexe Inhalte mittels Infografiken erklärt werden können. Infografiken haben im Ausstellungsbereich eine immer wichtigere Rolle übernommen. Sie reichen von analogen zweidimensionalen Grafiken bis hin zu raumbildenden Installationen … analog und digital.
Wir haben vorhin darüber gesprochen, dass Klebebuchstaben nichts in einer Dauerausstellung zu suchen haben. Was für Unterschiede gibt es noch zur Sonderausstellung?
Eine Sonderausstellung kann laut sein, kann experimentell sein, kann auch Versuchslabor sein. Eine Dauerausstellung hingegen sollte möglichst zeitlos sein. Sie soll nicht nach fünf Jahren den Eindruck erwecken: Oh mein Gott, die ist jetzt ganz schön in die Jahre gekommen. Außerdem finde ich es wichtig, dass eine Dauerausstellung flexibel konzipiert und gebaut ist, dass es immer die Möglichkeit gibt, etwas zu ändern, zu aktualisieren, auszutauschen.
Du hast diesen Sommer auch ein Buch gestaltet, „Der Jahrhundertelefant. Eine literarische Familiengeschichte“ von Hanna Molden, und die Dauerausstellung „Salon Krenek in Krems“. Wie geht sich das alles neben dem Wien Museum aus?
Ich finde es gut, auch in anderen Medien zu arbeiten, in verschiedenen Dimensionen und verschiedenen Zeithorizonten und in unterschiedlichen Konstellationen. Ich mag die Synergieeffekte, die sich zwischen den Bereichen ergeben. In der nächsten Zeit werde ich mich aber vorwiegend auf das Wien Museum konzentrieren.
Was kommt nun nach der Bemusterung der Materialien?
Wir sind jetzt in der Ausführungsplanung, beim Erstellen der Infografiken und Einarbeiten der Textelemente in die Architekturpläne. Parallel erstellen wir Leistungsverzeichnisse als Grundlage für die Ausschreibung der Grafikproduktionen.
Wer erstellt die kartografischen Pläne?
Hier arbeiten wir eng mit dem wunderbaren Martin Mosser von der Stadtarchäologie zusammen. Er erstellt die Kartengrundlagen, an denen Martin Embacher und ich dann weiterarbeiten. Die kartographischen Darstellungen bilden den Schwerpunkt innerhalb der Infografiken in der Ausstellung – daneben gibt es auch Rekonstruktionszeichnungen wie zum Beispiel vom römischen Legionslager bis hin zu statistischen Darstellungen.
Du kennst ja nun die neue Dauerausstellung bis ins Detail. Gibt es ein Kapitel, was Du besonders magst?
Das ist schwierig. Es gibt viele Bereiche in der neuen Dauerausstellung, die ich besonders mag, und ich möchte kein einzelnes Kapitel herausgreifen. Aber ein kleines Beispiel: Besonders interessant finde ich den Einstieg in das erste Kapitel – mit dem Arbeitstitel „Naturraum-Wand“. Die Besucher:innen werden hier mit brandaktuellen Themen ihrer Zeit – also im Jetzt – abgeholt. Klimawandel, Fridays for Future, Anthropozän, Bodenversiegelung, … Themen, die uns heute alle unmittelbar berühren und beschäftigen, werden mit Parallelen in der Vergangenheit verschränkt, um so Fäden quer durch die Geschichte zu spannen. Ich mag diesen Einstieg sehr.
Was wünschst Du Dir für die neue Dauerausstellung?
Dass sie ein lauter, lebendiger und diskursiver Ort ist – ein Treffpunkt und Verweilort – am Puls der Zeit, im Herzen der Stadt.
Larissa Cerny, geboren 1976 in Neunkirchen. Sie studierte Grafik Design an der Universität für Angewandte Kunst Wien, Kunstgeschichte an der Universität Wien und absolvierte einen Universitätslehrgang Ausstellungsdesign und -management an der Donauuniversität Krems. Nach dem Studium arbeitete sie 2002 als Freelancerin in Brüssel, zurück in Wien gründete sie 2003 das Grafik Designbüro, heute mit Sitz in Ternitz.
Seit 2004 arbeitet sie im Bereich Ausstellungsgestaltung und -grafik für Ausstellungen und Museen, darunter auch für viele Sonderausstellungen des Wien Museums und für die Dauerausstellungen im Römermuseum, der Virgilkapelle und dem Neidhart Festsaal, zuletzt 2021 für den Salon Krenek in Krems. Sie gestaltet Bücher und Kataloge, entwirft Corporate Designs oder Leitsysteme wie 2021 für den Akademiepark Wiener Neustadt und das Stift Dürnstein. Für die neue Dauerausstellung plant und entwirft sie im Bereich Ausstellungsgestaltung die Grafik.