Martin Eppenschwandtner

Statiker

Vorgestellt 31 │ November 2021

 

 

Das Gespräch mit dem Tragwerksplaner Martin Eppenschwandtner findet Ende November auf der Baustelle am Karlsplatz statt. Nachdem alle Kräfte, die auf ein Gebäude wirken, letztendlich in den Boden abgetragen werden, starten wir im Keller und gehen von dort aus einige, für den Statiker neuralgische Punkte ab. Auf dem Dach des Haerdtl-Gebäudes werden wir unterhalb des großen Stahlfachwerkes ankommen, das, in den letzten Wochen montiert wurde und das neue Obergeschoss bildet - „schwebend“ über dem Altbestand.

 

Wir betreten das Wien Museum über den Vorplatz im Bereich des späteren Restaurants, im Erdgeschoss rechts gelegen. In das Untergeschoss geht es über das hintere Treppenhaus, das die Büroräume auf der Rückseite des Gebäudes verbinden wird.

 

Tatsächlich kommen wir hier gleich zu einer Schnittstelle, an der massiv eingegriffen wurde, zum neuen Lastenaufzug mit dem dahinterliegenden internen Stiegenhaus. Hierfür mussten die Decken im Altbestand entfernt werden.

 

 

Die Wände der neuen Kellerräume unter dem Altbestand sind bereits ausgeweißelt. Der Gang umrundet den Bereich des früheren Atriums. Unterhalb des Haupteingangs fuhr hier im letzten Winter die große Bohrpfahlmaschine Leopold über die Baugrube am Vorplatz ein und aus.

 

Hier stehen wir auf der neuen Bodenplatte. Wenn man es räumlich sieht: Hier beginnt meine Aufgabe als Statiker. Oder besser gesagt, noch 40 Meter tiefer, denn unter der Bodenplatte wurden Bohrpfähle gesetzt, die durch den Bereich des früheren Wienflusses in 40 Meter Tiefe auf festen Boden münden, um das Fundament zu bilden, das den Neubau tragen kann.

 

Teil meiner Aufgabe war es zu bestimmen, wie viele Bohrpfähle wo gesetzt werden, wie sie mit dem Bestand zusammenpassen beziehungsweise diesen beeinflussen. Hier auf der Bodenplatte, die bis zu drei Meter dick ist, münden also alle Lasten des Stahlfachwerks, das oben das neue Obergeschoss bildet.

 

Wir stehen hier vor einer Wand, die uns oben wieder begegnen wird. Denn genau auf dieser Wand liegt ein großer Teil des Stahlfachwerks auf. Sie ist aber mit fast 80 Zentimetern schon eine ordentlich tragende Wand, vergleichbar mit einem Brückenpfeiler. Gebaut mit einem hochfesten Beton und viel Stahlbewehrung.

 

 

Gegenüber dieser Wand, Blick Richtung Karlsplatz, kommen wir in die bereits fertiggestellte Erweiterung unterhalb des Vorplatzes, in die neuen Depoträume, durch die drei sogenannte Baumkoffer gehen. Die Baumkoffer sind mit Erde gefüllt, in ihnen werden die auf dem Vorplatz gepflanzten Bäume wurzeln.

 

Auch hier beginnt meine Arbeit in 30 Meter Tiefe mit den Bohrpfählen für die Bodenplatte der unterirdischen Erweiterung. Die statischen Berechnungen sind auf die LKWs, die über den Vorplatz fahren, ausgelegt.

 

Es geht aber nicht alles nach der statischen Berechnung, es geht auch nach der Baubarkeit, gerade in einem Altbestand. Wie viel Platz habe ich, wie können sich die Baufahrzeuge bewegen, wo kann ich eine Stütze setzen, ist dort genügend Platz für die entsprechende Bewehrung (Anm.: Der Beton wird in eine Stahlbewehrung gegossen). Oft kommt man mit den großen Geräten nicht hin, also muss die Position der Stütze mit ihrer Schalung, mit ihrer Bewehrung, nach Statik und nach baulicher Möglichkeit berechnet werden.

 

Und dann kommen Spezialaufgaben dazu, wie dieser Kran, der noch im Keller steht. Wir sehen hier seinen Fuß. Auch er steht auf den Pfählen und der Bodenplatte, die in diesem Bereich auf sein Gewicht ausgerichtet wurden. Er wurde also von Anfang an mitberechnet. So schwer wird nach ihm nichts mehr hier lasten.

 

 

Auf dem Weg zurück durch den Flur stoßen wie auf eine, für den Statiker besonders wichtige Stelle, auf eine Fuge zwischen Alt- und Neubau.

 

Hier sieht man den Beton des Altbaus und den des Neubaus, zwei statisch gesehen völlig verschiedene, voneinander getrennte Systeme. Bei alten Gebäuden, die schon eine ganze Weile stehen und sich entsprechend gesetzt haben, macht man eine Fuge zum neuen Gebäudeteil, eine statische Grenze. Wir müssen nun berechnen, wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Wenn sich ein Gebäude während der Bauphase noch etwas bewegt, darf es das andere Gebäude nicht mitnehmen. Nach Bauende bewegt sich hier natürlich nichts mehr. Anders allerdings weiter oben, wo die Wände, zum Beispiel bei einem Erdbeben, ins Schwingen kommen können.

 

 

Wir gehen weiter in den ersten Stock, in den Bereich der neuen Dauerausstellung, wo das Stadtmodell von Pendl ausgestellt sein wird, das eine entsprechend große Fläche benötigt.

Hier wurde an der Statik des Altbestands etwas verändert, das später niemandem mehr auffallen wird, aber für uns eine große Herausforderung war: Um Raum zu gewinnen, wurde eine bestehende alte Stütze weggenommen. Dadurch musste ein neuer Stahlträger in die Decke eingezogen werden, der viel Gewicht abtragen muss.

 

 

Die nächste statische Herausforderung kommt noch auf derselben Etage in Richtung Lothringerstraße. Hier wurden neue Deckenbalken eingezogen, die so ausgebildet sind, dass an dieser Stelle mehr Raumhöhe entstanden ist.

 

Auch hier wurde der Altbestand genau an die Anforderungen der neuen Dauerausstellung angepasst, Deckenträger wurden entfernt, neue eingezogen. Dabei ging es konkret darum, mehr Raumhöhe zu erhalten, um den Pompejanischen Salon ausstellen zu können. Da wir die gleichen Achsen verwendet haben, sieht man keinen Unterschied zu den alten Trägern.

 

Dahinter und an anderen Stellen sieht man jetzt im Rohbau auch neue Außenwände. Früher waren sie gemauert, jetzt sind sie aus Beton, um die Erdbebensicherheit zu gewährleisten. Als das Haerdtl-Gebäude errichtet wurde, hatte man einfach mit weniger Erdbeben gerechnet. Der Haerdtl-Bau ist ein für die damalige Zeit sehr moderner Stahlbetonbau. Dabei hat der Beton noch immer eine Festigkeit, wie sie heute verwendet wird, der Stahl aber grob gesagt nur die Hälfte der Festigkeit von heute. Um die Erdbebensicherheit nach heutiger Baunorm zu erreichen, braucht es also eine Verstärkung.

 

Pro Gebäudeteil werden immer drei Wandscheiben mit Beton verstärkt. Was das Interessante am Haerdtl-Bau ist: Dieser besteht nicht aus einem, sondern aus drei Bauteilen. Und jeder Bauteil wurde nun an drei Stellen verstärkt. Die Übergänge sieht man hier an dieser Fuge. Hier stehen zwei Träger unmittelbar nebeneinander. Aus statischer Sicht treffen zwei unterschiedliche Gebäude aufeinander. Man könnte eines abbrechen, und der andere würde 1:1 stehen bleiben. Warum der damalige Planer das Gebäude in drei autonomen Teilen errichten ließ, ist nicht bekannt. Vielleicht wurde ein Teil einfach etwas früher fertiggestellt.

 

 

Dass es bei den Aufgaben von Statiker:innen nicht immer um große Eisenträger oder zig-tonnentragende Wände geht, erläutert Martin Eppenschwandtner anhand einer Ziegelmauer auf dem Weg nach oben.

 

Eigentlich ist so eine Ziegelwand kein Thema für Statiker:innen. Wenn hier die Tür aber wie geplant vergrößert wird, kann der Beton nirgends mehr aufliegen und wird herunterkommen. Dafür muss ich nun eine Lösung finden. Das ist ein Beispiel dafür, dass meine Arbeit wirklich erst endet, wenn der Bau abgeschlossen ist. In der heißen Phase der Stahlfachwerkmontage bin ich zweimal die Woche auf der Baustelle, ansonsten einmal die Woche. Unsere Firma hat den Umbau seit Beginn der Planung mitbegleitet.

 

 

Auf dem Dach des Altbestands angekommen, treffen wir, verkleidet mit blauer Abdeckfolie, wieder auf die Wand, die wir bereits im Keller gesehen haben. Hier liegen die großen Stahlträger, die das neue Obergeschoss bilden, auf.

 

Der Altbestand kann und darf nicht die Last des neuen Obergeschosses tragen, sonst hätte man ihn komplett massiv verstärken müssen. Wir stehen hier aber nicht auf dem alten Dach, das alte Dach war ein Satteldach, das heißt, es war schräg, und ein schräges Dach kann man hier auf der zukünftigen Terrasse natürlich nicht brauchen. Wir stehen also auf dem neuen Dach des alten Gebäudes, im Bereich des zukünftigen Fugengeschosses, das das neue Obergeschoss mit dem Altbestand verbindet.

 

Statisch interessant ist beim Fugengeschoss die verbindende Fassade, eine Glasfassade, die sich in den Anschlüssen gewissermaßen bewegen muss. Es wird sich der Bestand, und sei es nur um 1 Millimeter, anders bewegen als das vierte Obergeschoss, das ja statisch gesehen ein eigenes Gebäude ist. Die Last des Fugengeschosses wird gewissermaßen vom Altbestand abgetragen, das schafft er, allerdings hat dieses Geschoss mit dem Veranstaltungssaal, den Ateliers, kein allzu großes Gewicht.

 

Hier sehen wir die Betonwände, die auf der Bodenplatte unten beginnen, die neue Halle bilden und auf denen das Stahlfachwerk aufliegt, das insgesamt rund 650 Tonnen schwer sein wird. Die Betonwände tragen die Last nach unten auf die Bodenplatte und in die Bohrpfähle ab. 

 

Die hinter Wand ist oben 30 Zentimeter, ab dem nächsten Geschoss 35 Zentimeter dick. Das sieht nicht nach viel aus, ist aber eine durchaus übliche Belastung für eine Wand, auch 10-geschossige Gebäude haben keine stärkeren Wände. Diese Wand ist einer der vier Punkte, auf denen das Stahlfachwerk aufliegt. Die zwei wesentlich höher belasteten Bauteile liegen auf der sogenannten Kernwand auf, so nennen wir die Wand mit den Liften, 45 Zentimeter stark. Sowie auf der 80 Zentimeter starken Wand, vor der wir bereits im Keller standen.

 

Dass auf einer Wand allerdings ein Stahlfachwerk mit so einer großen Auskragung lastet, ist nicht gerade üblich. Zumindest für Österreich erleben wir gerade ein ganz besonderes, ich würde fast sagen ein architektonisches Meisterwerk. Mit der Montage des Stahlfachwerks ist auch DER Meilenstein von Wien Museum Neu erreicht. Das Herzstück des Entwurfs ist dieses Stahlfachwerk, so beschreibt es auch der Architekt Roland Winkler (siehe wienmuseumneu.at/news. Anm). 

 

Die Konstruktion haben wir im Vorentwurf gemeinsam entwickelt. Heute ist nun bereits das Hauptfachwerk montiert, in Sondertransporten hertransportiert aus zwölf Einzelteilen, die zum Teil noch zusammengesetzt wurden. Das schwerste wiegt über 106 Tonnen, das längste misst 45 Meter.  Alle weiteren Teile, die in weiterer Folge hier montiert werden, werden durch dieses Fachwerk getragen.

 

Während die meisten anderen Träger in der Decke oder im Boden verschwinden, wird man diese Schräge, die über uns zu sehen ist, später auch im Raum des Sonderausstellungsgeschosses unmittelbar vor sich sehen. Ich hoffe, dass man dadurch spüren wird, dass das ganze Geschoss auf ein großes Fachwerk aufgehängt ist.

 

Ich habe dieses Fachwerk in Form von Plänen und Modellen seit zwei Jahren auf dem Schreibtisch liegen, ich kenne jedes Detail, jede Form, jeden Montagezustand. Alles wurde mehrfach berechnet, zigmal geprüft. Intern wie extern. Nicht nur die Konstruktion an sich, auch jeder einzelne Montageschritt in jeder nur erdenklichen Situation wurde mehrfach durchdacht. Nach den zwei Jahren intensivster Planungstätigkeit sehnt man den Tag, da es antransportiert wird, richtiggehend herbei. Aber wenn es dann da ist, ist es doch sehr imponierend.

 

 

 

Martin Eppenschwandtner, geboren 1980 in Wien. Ausbildung zum Bauingenieur an der Technischen Universität Wien am Karlsplatz. Seit 2007 arbeitet er bei Bollinger + Grohmann in Wien und steigt 2016, nach Absolvierung der Ziviltechnikerprüfung, als Partner in das Büro ein. Nach internationalen Projekten wie dem Desert Learning Center, einem Museum in Abu Dhabi, konzentriert er sich mehr auf Projekte in Wien wie den Donaucity-Tower oder den Umbau des Austria Center Vienna. Den Umbau des Wien Museums verantwortet er als Projektleiter der Tragwerksplanung.

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