Vorgestellt 07 │ September 2020
Was hat denn die Stadtarchäologie mit dem Umbau des Wien Museums zu tun?
Die Stadtarchäologie ist ein Teil des Wien Museums, insofern von vornherein prädestiniert, hier dabei zu sein. Außerdem werden wir zu jeder Baustelle in Wien hinzugezogen, um historische Überreste zu dokumentieren. Beim Wien Museum kommt noch dazu, dass unter dem Platz davor ein Speicher, also in die Tiefe gebaut wird. Hier war unsere Aufgabe, noch vor dem eigentlichen Umbau das Areal archäologisch zu untersuchen.
Und Ihr habt ja einiges gefunden, wie auch schon in den Medien berichtet.
Ja, zuerst haben wir die Verkaufshalle aus den 1920er Jahren gefunden, dann die Pfeilergruben der Stadtmuseum-Modellwand von Otto Wagner von 1910, und, was für uns sehr interessant war, die unterschiedlichen Straßenniveaus aus dem 18. und 19. Jahrhundert und am Ende, in der unglaublichen Tiefe von fünf Metern, aus dem späten 17. Jahrhundert. Wenn man bedenkt, dass diese Straße einmal zur Karlskirche hin- oder besser hinaufgeführt hat! Wie stark sich die Landschaft im Umfeld des Karlsplatzes verändert hat!
Wie kam es zu diesen großen Niveauunterschieden?
Das hat viel mit dem benachbarten Wienfluss zu tun, der diese Straßenkörper immer wieder überschwemmt hat. Jeweils auf den mächtigen Schwemmschichten wurden wieder neue Straßen angelegt. Aber auch mit den Wienflussregulierungen des 19. Jahrhunderts.
Wieso interessieren Euch die Straßen mehr als die Otto Wagner-Wand?
Sie ist auch wichtig, aber darüber gibt es gute Dokumentationen. Aber wenn es in die Bereiche geht, wo die Geschichte unbekannter wird, dann werden halt wir auch etwas nervös…
Weil Wiens Baugeschichte im Großen und Ganzen bekannt ist, wisst Ihr also schon vor Grabungsbeginn in etwa, was Euch vor Ort erwartet. Hat Dich mal ein Fund völlig überrascht?
Am ehesten damals in der Rasumofskygasse. Neben der U-Bahn-Station Rochusgasse. Da hatten wir ein bisschen mit Mittelalter gerechnet und ja, in der Gegend ist dann auch eine spätkeltische Grube aufgetaucht. Aber dann ist daraus eine ganze Siedlung geworden, in der auch noch römische Funde zum Vorschein kamen. Römische Händler hatten also bereits im 1. Jahrhundert vor Christus die Kelten besucht. Mit dem hatten wir überhaupt nicht gerechnet.
Ein Sensationsfund?
Eine Sensation laut Presse. In der Archäologie ist komischerweise immer alles eine Sensation. Ich würde eher sagen: Es ist interessant. Und dann haben wir aus dem Frühneolithikum noch ein Langhaus entdeckt. Das älteste Haus von Wien, das bisher gefunden wurde. Die Urgeschichte ist überhaupt am wenigsten vorhersehbar.
Was ist für Euch vorhersehbar?
Der Karlsplatz ist speziell, weil man im Flussbereich ist. Aber die Innenstadt ist vorhersehbar, hier gibt es immer mächtige Kulturschichten, Vorgängerbebauung bis ins hohe Mittelalter hinein. Auf eineinhalb bis zwei Meter Tiefe. Das war ja nicht so, wie heutzutage, dass der ganze Bauschutt nach Niederösterreich abtransportiert wird. Da wurde einfach Vorhandenes einplaniert und Neues wieder draufgesetzt.
Deswegen war früher auch alles so tief unten?
Genau. Dort wo viel gebaut wurde, wo viel Besiedlung war, wurde einfach immer wieder aufplaniert und die Stadt immer höher. Die Römer kommen dann so ab zweieinhalb, drei Meter. Die waren die ersten, die mit den Aufplanierungen angefangen haben.
Und unter den Römern?
In der Innenstadt kommt dann nur noch Geologie. Aber in den Außenbezirken, wie das Beispiel am Rochusmarkt zeigt, kommt man dann schon in prähistorische Bereiche. Gar nicht tief unten. In zweieinhalb Meter Tiefe das Neolithikum. In welcher Tiefe man etwas findet, kommt eben immer darauf an, wie stark und durchgängig der Bereich bebaut wurde. Die Kelten waren dort auch schon in eineinhalb Meter Tiefe anzutreffen. Oder in Hernals die Römer bereits in 80 Zentimetern Tiefe.
Zurück zum Wien Museum. Was habt Ihr dort an Objekten dann tatsächlich geborgen?
Die Pflastersteine, die ja erfreulicherweise zum Teil noch in Originallage vorgefunden wurden. Und die Funde unterhalb des Straßenschotters, die für die Datierung, für die Chronologie wichtig sind. Gebrauchskeramik, massenhaft Tierknochen, Pfeifenköpfe, Gussformen und Abfall von metallverarbeitenden Betrieben. Der ist wohl in den Wienfluss entsorgt worden. Aus der jüngeren Vergangenheit, also oberhalb der Verkaufshalle, gab es ganz viel Kriegsschutt. Abzeichen des Winterhilfswerks, eine Waffe, einen Wehrmachtshelm…
Hebt Ihr das alles auf?
Ja. Wir sind schon bis zu einem gewissen Grad selektiv, aber ab dem 19. Jahrhundert abwärts fangen wir an, die Funde vollständig aufzuheben. Wichtig in der Archäologie sind die sogenannten Fundkomplexe. Wenn man ein bestimmtes Bauwerk, eine bestimmte Struktur datieren möchte, dann sieht man sich die Schichten darunter an, dann weiß man, wann das Bauwerk gebaut wurde. Zu der Bestimmung braucht man das ganze Fundensemble. Das jüngste Stück, das darin gefunden wird, kommt dann der Datierung des Bauwerkes am nächsten. Wenn man hier mit Selektieren anfängt, kann man sich schnell einmal in der Chronologie vertun.
Und das landet jetzt alles im Depot?
Zuerst kommt es zur Stadtarchäologie, in die Obere Augartenstraße. Dort hilft eine Freiwilligeninitiative, die ist sehr wichtig, beim Reinigen, Waschen, Kleben und Beschriften. Dann folgt die Erstbestimmung. Dann ist die Frage, wie weit das Material Teil einer größeren Publikation, und dafür weiter aufgearbeitet wird. Wenn mit der Kuratorin und Sammlungsleiterin Michaela Kronberger die Inventarisierung abgeschlossen ist, geht es ins Museumsdepot.
Und wo kann man die Funde dann sehen?
Das hängt von entsprechenden Ausstellungen ab. Die vom Wien Museum, wenn es zum Beispiel einmal wieder eine Sonderausstellung über die Geschichte des Karlsplatzes geben sollte. Römische Funde aus der Postgasse zum Beispiel sind gerade im Römermuseum zu sehen.
Jetzt, nach Umbaubeginn, wird der Vorplatz noch weiter aufgegraben und Ihr erwartet Euch neue Funde?
Wir hoffen auf die Römerzeit, die fehlt uns ja noch. Dann kommen wir vielleicht auch wieder ins Römermuseum...
Ist Eure Arbeit jetzt im vollen Baubetreib schwieriger?
Ja. Wir beobachten genau den Aushub der Bagger. Wir erwarten vor allem etwas im südlichen Bereich, wo die Wienflussböschung gewesen ist, außerhalb des früheren Flussbetts. Dort sollten sich eine römische Straße und ein römisches Gräberfeld befinden. Das wissen wir aufgrund von Altbefunden.
Gerade hast Du aber auch ein anderes großes Projekt, am Frankhplatz.
Hier graben wir als Vorbereitung für den U-Bahn-Bau. Zuerst haben wir die Alser Kaserne, eine Infanteriekaserne der k.u.k. Armee gefunden, die von 1751 bis 1912 dort stand. Dazu haben wir auch gute Plangrundlagen. Jetzt sind wir in der mittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Alser Vorstadt. Die hat sich ein bisschen anders dargestellt, als wir vermutet haben. Später erwarten wir uns noch Funde aus der Römerzeit.
Ein großer Anteil Deiner archäologischen Arbeit passiert am Computer?
Wie die Architekt:innen arbeiten wir mit AutoCAD. Das hat man, wie gerade am Frankhplatz, vor Ort. Mit dem zeichnet man jede Struktur, jede Schicht, jeden Fund wie zum Beispiel Mauerreste, ein. Dann geht es darum, das, was man digital aufgenommen hat, zuzuordnen, die Funde mit der Struktur in Verbindung zu bringen und das alles in entsprechenden Datenbanken aufzunehmen. In diesem Aufarbeitungsprozess entdeckt man dann oft noch ziemliche Überraschungen.
Was magst Du lieber, die manuelle Arbeit in der Grube oder die Planarbeit am Computer?
Das sind genau meine zwei Steckenpferde. Vor Ort zu sein. Jeder Tag ist spannend. Jeden Tag kann ich etwas entdecken, was vollkommen neue Erkenntnisse bringt. Und dann die Arbeit am Computer, das Erstellen von Karten mithilfe geographischer Informationssysteme, für die ich mich zusätzlich ausgebildet habe.
Du arbeitest seit 1992 bei der Stadtarchäologie, hast die ganze Diskussion über den Standort des neuen Wien Museums mitbekommen?
Ja, und ich finde es sehr gut, dass es jetzt am Karlsplatz ist. Der Karlsplatz ist einfach ein idealer Ort für ein Museum.
Und worauf freust Du Dich, wenn das neue Museum fertig ist?
Wenn es dann so weit ist, fände ich es nett, auf der Terrasse im Cafe zu sitzen und zu denken: Da unter unseren Füßen haben wir gegraben.
Martin Mosser, geboren 1965 in Braunau/Inn; nach der Matura Nachtwächter, Knecht und Fahrradbote, abgebrochenes Studium der Technischen Mathematik, danach Studium der Klassischen Archäologie in Wien. Seit 1992 bei der Stadtarchäologie Wien, 1995 Mitarbeit bei der Grabung am Judenplatz. Seit damals zahlreiche Publikationen zum römischen Wien und zahlreiche Grabungsleitungen im gesamten Wiener Stadtgebiet, insbesondere im Bereich des römischen Legionslagers und der römischen Zivilstadt; Leitung von Lehrveranstaltungen (Lehrgrabungen) für Studenten der Klassischen Archäologie an der Universität Wien. 2011 Abschluss des Universitätslehrgangs „Geographische Informationssysteme“ an der Universität Salzburg. Martin Mosser ist der Grabungsleiter für die archäologischen Arbeiten beim Aushub für den zukünftigen Tiefspeicher vor dem Wien Museum Karlsplatz.