Vorgestellt 57 │ September 2023
In dieser Vorgestellt-Serie habe ich bisher 56 Menschen rund um den Umbau des Wien Museums interviewt. Davon viele Mitarbeiter:innen des Museums. Hast Du durch die Interviews Neues erfahren?
Erfahren oder sagen wir besser: wieder einmal bestätigt bekommen, dass wir eine ungeheuer spannende, diverse Truppe sind, mit den unterschiedlichsten Backgrounds.
Wodurch zeichnet sich für Dich ein idealer Mitarbeiter, eine ideale Mitarbeiterin aus?
Das kann ich Dir ganz einfach sagen: Ideale Mitarbeiter:innen sehen sich als Teil eines Teams, nicht einer Hierarchie. Sie denken vollkommen unabhängig und autonom, sind das Gegenteil von Befehlsempfänger:innen oder Befehlserwartenden und sind für mich eine intellektuelle und institutionelle Herausforderung im besten Sinn. Langeweile und Ducken sind unerträglich.
Wodurch zeichnen sich für Dich gute Museumsleiter:innen aus?
Jemand, der genau diese Ressourcen, die in den Mitarbeiter:innen schlummern, bestmöglich fördert und sich entfalten lässt. Im Idealfall also immer ein Ermöglicher.
Du hast lange in Chicago gelebt, vermisst Du das Leben in den USA manchmal?
Fast nie. Was ich sehr schätze, ist die Informalität dort. Es gibt Momente, an denen ich mit - in meinem Verständnis - amerikanischen Reformen und Ideen komme und an den lokalen Gegebenheiten scheitere. Und mir dann die Missachtung von Titeln, gesellschaftlichen Stellungen oder familiären Klüngeleien sehr fehlt.
Würdest Du heute nochmal nach Amerika gehen?
Das Land hat sich leider sehr verändert seit den 80er-Jahren, als ich den Plan gefasst habe, dort zu studieren. Heute wäre Amerika wohl nicht mehr mein Traumziel.
Du hast auf der Uni gearbeitet, ein Humanities Festival geleitet und bist jetzt Museumsdirektor. War das Administrative immer Deines?
Ich habe immer gerne geforscht und geschrieben. Aber am meisten Spaß hat es mir gemacht, etwas mit anderen umzusetzen. Ich bin nicht so der Archivtiger. Ich habe ja bereits mit 31 Jahren ein Institut geleitet, seit 20 Jahren bin ich also so etwas wie ein wissenschaftlicher Kulturmanager.
Das Wien Museum ist in der Rechtsform ja auch eine wissenschaftliche Anstalt. Kannst Du die Aufgabe des Museums für unsere Leser:innen in drei Sätzen definieren?
Das Wien Museum ist ein klassisches Stadtmuseum, das die Aufgabe hat, die Stadt zu begleiten und für die Bewohner:innen die Geschichte so aufzubereiten, dass sie sich als Teil dieser Geschichte verstehen können. Mit der Möglichkeit, sie in der Gegenwart und Zukunft mitzubestimmen.
Was muss ein Museum heute können? Wie muss es aufgestellt sein?
Es muss alles können, was es immer schon können musste: ein Repository, ein Speicherort für die Stadtgeschichte, für die großartige Sammlung sein. Neu ist, dass es auch ein Community-Center sein soll. Ein Museum war früher ein Ort, um hehre Objekte zu besehen, im Stillen darüber zu reflektieren. Für mich hat ein Museum heute auch ein Ort des Diskurses, der Begegnung, der Auseinandersetzung im besten Sinne zu sein. Und genau das werden wir mit dem neuen Museum anbieten können. Dazu gehören Orte, an denen sich gut reden lässt. Dazu gehört auch Kulinarik, ein guter Kaffee, eine schöne Atmosphäre, um sich mit Freund:innen zu treffen. Das Kommen und Schauen muss Teil eines Gesprächs sein. Ein Dialog. Deshalb wird die Vermittlung auch immer zentraler.
Wir sammeln, bewahren, beforschen, vermitteln. Konkurrenzieren die Bereiche einander?
Ein klassisches Dilemma gibt es zwischen Bewahren und Vermitteln, also Ausstellen. Ein Objekt ist am besten bewahrt, wenn es im dunklen Depot liegt. Das widerspricht natürlich dem Anspruch, es den Menschen zu zeigen. Unsere Restaurator:innen leisten Unglaubliches, um diesen Spagat ein ums andere Mal zu ermöglichen. Was mir in diesem Zusammenhang wichtig ist: dass wir auch die unsichtbaren Bereiche vermitteln, also der Öffentlichkeit zeigen, dass es im Museum nicht nur ums Ausstellen geht. Wir arbeiten hier im öffentlichen Auftrag, und so ein Depot nach wissenschaftlichen Kriterien zu führen, materielle Geschichte zu bewahren, ist nicht billig. Ich möchte gerne, dass die Menschen wissen, in was die Stadt ihr kollektives Geld investiert.
Das ist noch nicht in allen Köpfen angekommen?
Wie oft wurden wir in den letzten Jahren gefragt: Wie schön, das Museum ist geschlossen, seid ihr jetzt auf Urlaub? Mit dem Hintergedanken: Alles was wir tun ist, ein Objekt zu nehmen und an die Wand zu hängen.
Und wie gerade Michi Kronberger erzählt hat: Das Museum kann auch über Vernetzungen und Zusammenarbeit mit anderen Forschungsinstitutionen wichtige Beiträge leisten. Ohne öffentlichkeitswirksame Formate wie Ausstellungen würde deren Arbeit oft verborgen bleiben.
Total. Ein wunderbares Beispiel ist oder war die Ausstellung „Auf Linie“. Ihre Genese war ein Forschungsprojekt der beiden Kuratorinnen. Hätte es die Ausstellung nicht gegeben, wäre diese fantastische und so wichtige Arbeit eine wissenschaftliche Monografie geworden. Nichts Schlechtes daran, aber sie hätte nicht annähernd die öffentliche Wirkung gehabt. Das ist es, was wir liefern können: Die Verschränkung der Wissenschaft mit der Öffentlichkeit. Oft sind wir dabei wesentlicher Teil dieser Forschung, oft wesentlicher Teil der Vermittlung.
Du unterrichtest an der Central European University. Was genau?
Momentan unterrichten Nathaniel Prottas und ich einen kleinen Kurs, „Museums and Public History“. Hier geht es darum, Studierenden, die im Masterstudium zu Public History sind, die Anatomie eines Museums etwas näher zu bringen, welche Abteilungen es gibt, wer was tut. Sie gehen ja auch davon aus, dass man einfach nur Sachen an die Wand hängt. Aber wir werden den Kurs ab Herbst 2024 zu einem richtigen Studienzweig Museum Studies ausbauen.
Von 2015, dem Architekturwettbewerb, bis heute, drei Monate vor Eröffnung des neuen Museums: Was waren Deine schönsten Momente im Wien Museum Neu-Prozess?
Das erste Mal auf die Terrasse zu treten, war wirklich Gänsehaut. Oder 2015, ich war ja in der Jury und habe mir alle 274 Einreichungen angesehen, der Moment, an dem ich vor dem Siegerentwurf von Certov, Winkler + Ruck stand. Ich glaube, er war Nummer 220. Ich dachte nur: wow! So ein spektakulärer Entwurf und zugleich so zurückhaltend. Haerdtl nicht übertrumpfen zu wollen, sondern in Dialog mit ihm zu treten. Das hat mich von Anfang an begeistert.
Und wann hast Du gezweifelt, auch wenn Du eher kein Zweifler bist?
Ich erinnere mich konkret an folgenden Moment: Im Winter 2018 schrieb Matthias Dusini im Falter: Wien Museum Neu kommt nicht. Ich stand mitten in Gesprächen mit der Stadt, war eigentlich sehr zuversichtlich, alles schien gut zu laufen. Aber dann steht das schwarz auf weiß, in einer Zeitung, die ich sehr schätze, und dann ist das so ein Moment... Danach sprachen Dusini und ich im Falter-Podcast darüber, und ich habe mit ihm um eine Pizza gewettet, dass Wien Museum Neu doch kommt.
Die könntest Du jetzt einfordern. Wenn wir jetzt so durch das Haus gehen, gibt es eine architektonische Idee, die Dir besonders gefällt?
Es gibt einen Ort, wo etwas gegeben ist, das ich aus den Plänen nicht herausgelesen habe, und das ich total liebe: Wenn Du auf der langen, wunderschönen Bank in der Halle sitzt, entworfen übrigens von Robert Rüf, dann siehst Du in den Himmel.
Ich mag besonders, dass die Fuge, die große, schwarz akzentuierte Linie zwischen Alt und Neu, die man in der Halle sieht, überall im Haus vorkommt. Vielleicht überinterpretiere ich das, aber schwarze Linien, die helle Flächen durchbrechen, entdecke ich in den Decken des 3. OG, in unseren Büros… Kommen wir aber zur neuen Dauerausstellung: Du bist Teil der Projektleitung, was sind hier Deine Aufgaben?
Sagen wir besser, ich bin Teil der erweiterten Projektleitung. Operativ leiten Michaela Kronberger, Elke Doppler und Bärbl Schrems die Planung und Einrichtung der neuen Dauerausstellung. Aber natürlich habe ich eine Verantwortung für die Inhalte. Und dann habe ich auch die Texte der Dauerausstellung ins Englische übersetzt.
Dann frage ich den erweiterten Projektleiter: Wie hält man die Besucher:innen auf drei Etagen, 3.300 m2, bei der Stange?
Durch Abwechslung. Die Besucher:innen müssen die Ausstellung in verschiedenster Art und Weise erleben können. Schnell durchgehend, sich an den Leitobjekten durchhangelnd, aber genauso, drei Stunden nur im Barock verweilend, weil die Vertiefungen sie immer weiter und weiter in die Geschichte hineinziehen.
Ist das auch Deine Antwort auf die Frage, wie man die Besucher:innen nicht überfordert?
Genau, Du musst eine Situation schaffen, in der es für sie akzeptabel ist, nicht alles zu lesen und zu sehen. Ich liebe an dem Medium Museum, dass es die Besucher:innen total aktiviert, weil Du als Besucher:in Dir Deine Erfahrung selber konstruierst. Du entscheidest selbst, wo Du hingehst, was Du Dir anschaust, was Du liest. Im Gegensatz zum Kino zum Beispiel, wo alles vorkonstruiert ist. Du sitzt im Dunkeln und Dein Handlungsspielraum ist, ob Du Popcorn isst oder nicht.
Und die Aufgabe der Ausstellungsmacher:innen ist es, Dir verschiedene Wege zu ermöglichen, wie Du Erfahrungen sammeln kannst.
Genauso ist es.
Wir haben in den letzten Monaten in einer Kampagne 50 Objekte aus der Ausstellung in Szene gesetzt. Was sind Deine Hidden Stars in der Ausstellung?
Ich werde jetzt nur einen Star erwähnen, aber er ist ein wirklich wichtiger. Ich finde, die Darstellung des zerstörten Donaukanals von Otto Rudolf Schatz ist eines der großartigsten Werke in unserer Sammlung. Es ist das erste Objekt im Kapitel zur Nachkriegszeit und macht das Ausmaß der von den Nazis verursachten Katastrophe nachvollziehbar. Jedes Mal, wenn ich es sehe, reisst’s mich. Es ist für mich eines der stärksten Objekte in der Dauerausstellung.
Eines Deiner großen Ziele, und wir alle hoffen, dass es sich erfüllt, ist der kostenlose Eintritt für alle in die neue Dauerausstellung. Der niederschwellige Zugang ist Dir besonders wichtig, was fällt hier alles darunter?
Alles. Natürlich alles Finanzielle, keine Frage, aber vor allem muss die Ausstellung Menschen dort abholen, wo sie sind. Wenn ich meine Diplomarbeit über Wiener Geschichte schreibe, habe ich einen anderen Zugang, als wenn ich ein amerikanischer Tourist bin oder als wenn ich aus einer syrischen Familie komme, die 2015 nach Wien geflüchtet ist. In der Dauerausstellung versuchen wir Anker zu schaffen, an denen man sich, egal mit welchem Background, orientieren kann.
Digital gehst Du noch weiter, hier wurde in den letzten Jahren das Open Content-Angebot ja vervielfacht mit dem Magazin und der Online Sammlung. Wie geht’s weiter?
Das klingt jetzt vielleicht uncool, wir haben mit der Online Sammlung bereits so viel geschaffen, aber wir sind immer noch unter der Marke von 100.000 Objekten. Und wenn wir die geschafft haben, hätten wir noch mindestens 1,4 Millionen weitere. Das Gleiche beim Magazin: Es soll weiter und weiter wachsen.
Beinahe täglich führst Du derzeit Menschen durch das halb eingerichtete Haus, wie geht Dein Weg?
Immer anders, damit es für mich spannend bleibt.
Aber was ist Deine beste Behind-the-Scenes-Geschichte?
Die Geschichte vom Grünsfeld-Schild erzähle ich immer. Weil sie so exemplarisch ist für die furchtbare Geschichte jüdischen Leidens, für Raub und Vertreibung. Und natürlich erzähle ich sehr oft die Geschichte vom Walfisch Poldi. Jeden Tag kommen neue Objekte dazu und damit neue Geschichten.
Am 6. Dezember 2023 wird das Wien Museum mit der neuen Dauerausstellung eröffnet, ab Frühjahr zeigen wir Sonderausstellungen im 4. OG. Was zeichnet gelungene kulturhistorische Ausstellungen aus?
Sie sind vor allem im Gegensatz zu Kunstausstellungen zu sehen. Dort wirkt große Kunst in der Regel als solche, vielleicht wird textlich noch ein wenig der soziokulturelle Hintergrund angerissen. Der kulturhistorische Ansatz sieht die Kunst und alle anderen Dinge als Teil eines großen historischen Prozesses und versucht diesen abzubilden. Soweit das möglich ist. Während ich, konkret gesagt, im Kunsthistorischen Museum ein Meisterwerk nach dem anderen sehe, sieht man bei uns sehr viel Kram. Kulturhistorisch kann der aber höchst bedeutsam sein.
Ein Beispiel?
Im „Wien um 1900“-Kapitel hängen natürlich unsere Klimts und Schieles, aber sie sind kulturhistorisch weniger einzigartig als das Dienstbotenbett, das sich wie durch ein Wunder erhalten hat. Die Geschichte armer Menschen anhand von Objekten zu erzählen, ist immens schwierig. Niemand hat sie gesammelt. Im Gegensatz zu den Klimts.
Im Frühjahr eröffnen wir voraussichtlich das neue Pratermuseum. Welche Baustelle kommt als nächste?
Drei Standorte sollten unbedingt bald barrierefrei werden, das sind das Schubert-Geburtshaus, das Uhrenmuseum und die Hermesvilla.
Wenn Du Dir etwas wünschen dürftest: Wie viele Menschen sollten bis zum 6. Dezember 2024 ins Wien Museum gekommen sein?
300.000. Das wären doppelt so viele wie früher.
Wie könnte der Satz lauten, mit dem Besucher:innen andere Besucher:innen einladen: „Komm mit ins Wien Museum, dort …“
… gibt es wahnsinnig tolle Ausstellungen, spannende Events, eine wunderschöne Terrasse und gutes Essen.
Matti Bunzl, geboren 1971 in Wien; Studium der Kulturanthropologie und Geschichte in Stanford und an der University of Chicago. Lehrtätigkeit an der University of Illinois von 1998 bis 2014 (Assistant, Associate, Full Professor). Direktor des Illinois Program for Research in the Humanities der University of Illinois von 2003 bis 2007; Direktor des Program in Jewish Culture and Society der University of Illinois von 2008 bis 2014; Intendant des Chicago Humanities Festival von 2010 bis 2014. Seit 10/2015 Direktor des Wien Museums; seit 07/2016 Honorarprofessur an der Universität Wien; seit 9/2020 Visiting Professor an der Central European University.