Michael Herzog

Projektleiter Orientierungssystem "Buero Bauer"

Vorgestellt 49 │ Februar 2023

 

 

Du bist Architekt und hast Dich zum Experten für barrierefreies Bauen ausgebildet. Seit 2007 arbeitest Du als Designer und Projektleiter für Orientierungssysteme im „buero bauer – Gesellschaft für Orientierung und Identität“. Wie kam es dazu?

Orientierung ist eine Schnittstelle zwischen Grafikdesign und Architektur, die ich sehr spannend finde. Das „buero bauer“ hatte sich schrittweise vom Grafikdesignbüro in diese Richtung entwickelt, dabei fehlte noch jemand auf der Architekturseite. Ich habe mich beworben und bin direkt in die Planung der Orientierungssysteme für das OK, das Offene Kulturhaus Linz, und für ein Krankenhaus in Niederösterreich eingestiegen. Heute sind wir ein interdisziplinär aufgestelltes Team aus mehreren Designer:innen und Architekt:innen, das an der Schnittstelle von Kommunikation und Raum arbeitet. Das reicht von Standortbranding über Ausstellungsgestaltung und Interior Design bis zur Orientierung in unterschiedlichen Maßstäben.

 

Der Bürountertitel hört sich sehr philosophisch an. Was ist denn Eure Philosophie in Sachen Orientierung und Identität?

Unser Name änderte sich von „bauer – konzept und gestaltung“ auf „buero bauer – Gesellschaft für Orientierung und Identität“, als sich das Arbeitsfeld Orientierung mit Fokus auf Barrierefreiheit und inklusiver Gestaltung weiterentwickelt und sich damit auch die Bürostruktur verändert haben. In etwa zeitgleich mit dem Auftrag für den WU-Neubau und der Include Initiative, einem selbstinitiierten Projekt mit Talks und Publikationen zum fairen Zugang zu Information und Raum. Als wir uns der Frage nach der eigenen Identität stellten, haben sich drei große Felder herauskristallisiert: Kommunikationsdesign, Orientierungssysteme und Strategie, die als Klammer alle Aspekte verbindet.

 

Und Eure Philosophie?

Aus dem Inhalt die Form zu generieren. Wir schauen uns das Projekt, die Ziele und die Philosophie dahinter an, und erarbeiten den Inhalt und die Lösung gemeinsam mit den Auftraggeber:innen. Es beginnt mit der Analyse des Gebäudes und den Bedürfnissen der Besucher:innen an ein Orientierungssystem. Wer soll es verwenden, was ist wichtig hervorzuheben, was darf ausgeblendet werden? So gehen wir schrittweise in die Tiefe, verdichten an den relevanten Stellen den Inhalt. Mit der Gestaltung strukturieren wir den Weg und Entscheidungspunkte im Gebäude. Gemeinsam kommen wir so zu einem guten Ergebnis.

 

Wofür brauche ich das Orientierungs- bzw. Leitsystem?

Leitsysteme sind Hilfestellungen, um Orte, die ich nicht kenne, besser zu verstehen und für möglichst viele Menschen benutzbar zu machen. Das können tatsächlich Gebäude sein, aber auch städtische Flächen oder Ziele wie Räume in einem Gebäude. Orientierungssysteme sind mögliche Anleitungen, um einen Ort besser lesen zu können. Das kann ein Übersichtsplan sein, der mir zeigt, was ich wo erwarten kann. Oder auch eine visuelle, akustische oder taktile Hilfe, um an ein konkretes Ziel zu kommen. Dabei können Orientierungshilfen sehr laut sein – im Krankenhaus, in dem ich mich wahrscheinlich in einer Stresssituation befinde, brauche ich gut lesbare Schrift, deutliche Wegweiser und kräftige Farben, um schnell die Notfallambulanz zu finden. Woanders reichen subtilere, zurückhaltendere Systeme, die dort auftauchen, wo Richtungsentscheidungen notwendig sind.

 

Welche Art von Orientierungssystemen gibt es denn in- und außerhalb eines Gebäudes?

Grundsätzlich sollte es eigentlich nicht mehrere Systeme geben, sondern ein inklusives, das für möglichst alle funktioniert. Das ist die Basis der barrierefreien Gestaltung, wo du nach dem Zwei-oder-mehr-Sinne-Prinzip arbeitest. Das heißt, wenn es etwas Visuelles gibt, sollte es eigentlich auch ein akustisches und taktiles Signal dazu geben.

 

Zum Beispiel?

Im Lift drücke ich auf den Knopf nach einem Mehr-Sinne-Prinzip: Ich sehe die Ziffer und ich kann sie spüren als Braille- oder Pyramidenschrift. Im besten Fall gibt es noch die Audioausgabe, die mir sagt, in welche Richtung der Lift fährt und dazu vielleicht noch dazu den Inhalt, was mich auf der Ebene erwartet.

 

Klappt das Zusammenspiel immer so harmonisch für alle Bedürfnisse?

Nicht immer, wie zum Beispiel bei der taktilen Bodeninformation, die Du am besten von den U-Bahnstationen kennst. Sie soll Menschen mit Seheinschränkungen helfen, kann aber für Mobilitätseingeschränkte oder Rollstuhlfahrer:innen eine Stolpergefahr oder gar unüberwindliche Hürde darstellen. Vor allem im städtischen Umfeld, wo die Norm 5 mm beträgt. Die Normen – zum Beispiel B1600 oder V2102 –, die Maßnahmen zur Barrierefreiheit beschreiben, werden deswegen immer wieder vom Normausschuss, in dem alle Betroffenen sitzen, angepasst. Es geht also darum, einen Konsens in der Gestaltung zu finden, der für alle hilfreich ist. Und möglichst wenig behindernd.

 

Und wie priorisiert man, von starker zu leichter Behinderung?

Die gesamte Bevölkerung betrachtend ist es so, dass das Zwei-oder-mehr-Sinne-Prinzip für 20 Prozent notwendig ist, um sich orientieren zu können, für 50 Prozent hilfreich, und es sollte für alle komfortabel sein.

 

Was bedeutet das für den Orientierungssystemplaner?

Inhaltlich werden die Informationen sozusagen von außen nach innen gestaffelt und verdichtet. Am Karlsplatz muss ich in erster Linie wissen, wo das Museum ist, innen angekommen dann, wo die verschiedenen Ausstellungen oder der Shop zu finden sind. Je näher ich dem Ziel komme, sollte sich an den Knotenpunkten die Information verdichten bzw. das Gesuchte bestätigt werden: „Du bist am richtigen Weg“. Egal ob für Menschen ohne oder mit leichten Behinderungen wie Brillen- oder Kontaktlinsenträger sowie für stark Sehbehinderte oder blinde Menschen oder Menschen, die im Rollstuhl sitzen – es sollte für alle gleich gut funktionieren.

 

Wann fängt man an, ein Orientierungssystem für ein Gebäude zu entwickeln?

Im besten Fall gestaltet man die Orientierung, die Architektur und das Raum- und Funktionsprogramm parallel, als integrative Arbeit. Im Nachhinein kann man mit einem Orientierungssystem Probleme der Architektur verbessern, aber nicht völlig auflösen. Das hat sich in den letzten Jahren zum Glück geändert. Wir kommen nicht erst dazu, wenn der Rohbau bereits fertig ist und wir nur noch Feuerwehr spielen können, um kritische Entscheidungspunkte in den Griff zu bekommen.

 

Ihr seid 2021 in das Projekt Wien Museum Neu eingestiegen, Eure Aufgabe ist es, ein Leitsystem im Gebäude für alle Wege außerhalb der neuen Dauerausstellung zu entwickeln. War das rechtzeitig?

Es war ein spannender Zeitpunkt. Der Bau war zwar schon voll im Gange, aber es konnten noch Rohbauentscheidungen getroffen werden, wie zum Beispiel in der Decke im Foyer die Technik für Monitore zu installieren, die für digitale Informationen verwendet werden, oder die Position für Screens an den Wänden festzulegen. Wir haben ein Konzept präsentiert, das möglichst simpel und sprachunabhängig funktioniert und die Orientierung zur Dauerausstellung, zu den Sonderausstellungen und zur sonstigen baulichen Infrastruktur wie Restaurant, Terrasse oder Toiletten sicherstellen soll.

 

Wie funktioniert das simple und sprachenunabhängige System im Museum?

Wir haben uns überlegt, was am meisten Zugkraft besitzt und den Fokus auf die visuelle Ebene gelegt. Wir zeigen nicht den Weg, sondern das Ziel, benutzen zum Beispiel Ausstellungsplakate als Wegweiser. Sobald ich durch den Pavillon kommend im Haerdtl-Foyer stehe, gibt es einen Entscheidungspunkt: Gehe ich geradeaus in die Dauerausstellung, die sich durch einen großen leuchtenden Screen aufzeigt, oder möchte ich zu Sonderausstellungen oder anderem, dann weisen kleinere Screens an der Kassa und Info, bei den Liften und der Haerdtl-Stiege auf die aktuellen Sonderausstellungen und Veranstaltungen hin.

 

Wird es auch einen Floorplan geben?

An Kassa und Information gibt es auch einen Gebäudeplan, der einen Überblick geben soll. Hier befindet sich auch eine Ebenenübersicht mit taktiler Beschriftung in Pyramidenschrift und Brailleschrift. Im Pavillon gibt es übrigens auch ein dreidimensionales Tastmodell für das ganze Gebäude, mit lesbaren und fühlbaren Beschriftungen, sowie einen Grundriss als tastbaren Plan. Es war uns wichtig, dass auch die taktile oder vertiefte inklusive Wegeführung durchgängig und für alle sinnvoll nutzbar ist. Den Plan wird es wohl auch als Handout, also als Abreißplan geben. Und man findet ihn auf der Website und im digitalen Medienguide. Für uns ist eine nahtlose Informationskette wichtig. Sie beginnt schon vor dem Besuch, wenn ich mich auf der Website des Wien Museums informiere und setzt sich dann von der Plaza des neuen Wien Museums fort und führt mich bis zum Ziel im Gebäude, zu einer Veranstaltung, in die Vermittlungsateliers oder zu meinem Lieblingsobjekt in der Dauerausstellung.

 

Und wie finde ich die Toiletten?

Infrastruktur oder Nebenziele werden im neuen Orientierungssystem über Piktogramme geführt, die ebenfalls sprachunabhängig funktionieren. Textlich wird nur wenig beschildert und wenn, dann auf Deutsch und Englisch. Unser Ziel war es, möglichst niederschwellig zu führen und nur an den Punkten, wo Entscheidungen wirklich notwendig sind, Informationsträger zu platzieren.

 

Wie sehen die Piktogramme aus?

Teilweise kommen bekannte und gelernte Standardpiktogramme zum Einsatz, deren Ursprung auf Otl Aicher zurückgehen, der sie für Olympia in München 1972 entworfen hatte und die sich seitdem weltweit verbreitet haben. Diese werden aber für den Einsatz im Leitsystem angepasst. Neben Strichstärken und Kontrasten der Symbole berücksichtigen wir dabei das vorliegende Farbmaterial und die Schrifttypen. In Eurem Fall nehmen wir für die Piktogramme ein Charakteristikum der neuen Wien Museum-Schrift und -Identity auf.

 

Damit kommen wir auch zu einem meiner Lieblingsthemen: Der Beschriftung von Toilettenanlagen. Wie ist hier der Trend?

Auch hier inklusiv vorzugehen und niemanden auszuschließen. Eigentlich wollen wir auf Geschlechtsbezeichnungen verzichten. Um das fast unlösbare Problem, etwas Uneindeutiges eindeutig darzustellen, doch lösen zu können, zeigen wir die Einrichtungen hinter den jeweiligen Toilettentüren, also Toilette oder/und Pissoir. Wir denken, dass die Menschen heute mündig genug sind, sich richtig zu entscheiden. Aber ganz final ist die Lösung noch nicht, vielleicht wird es noch Zusatzbeschriftungen geben.

 

Oder man müsste einfach mal wegkommen von den zwei Toiletten und überhaupt eine neue architektonische Lösung für alle finden.

Genau, das Wien Museum wäre dafür auch offen gewesen. Aber nach derzeitiger Bauordnung muss es zwei Räume nach Männern und Frauen getrennt geben.

 

Für neue User Experience auf der neuen Website haben wir verschiedene Personas erfunden, die quasi als Testpersonen hergenommen werden, ob wir alle möglichen User bedacht haben und ob alle das finden, was sie finden wollen. Arbeitet Ihr auch so?

Ja, es ist eine gängige Methode, sogenannte Use Cases zu generieren, möglichst divers und unterschiedlich in ihrer Benutzung des Gebäudes. Es gibt eine Studie, die besagt, wenn man fünf Leute befragt, kann man schon 80 Prozent der Knackpunkte innerhalb eines klar definierten Szenarios, herausfinden. Das ist ja ein sehr spannender Teil an der Orientierungsplanung, den unterschiedlichen Bedürfnissen und Herangehensweisen auf die Schliche zu kommen. Die Hülle selbst ist ja gar nicht so interessant. Wenn ich in meiner Arbeit das fünfte Krankenhaus bearbeite, weiß ich an sich schon, wie es funktioniert und wo die Herausforderungen liegen. Spannend und immer wieder mit einem Aha-Erlebnis verbunden wird es, wenn man in den jeweiligen Projekten unterschiedliche Menschen zu ihren Sichtweisen befragt, was für ihre Orientierung notwendig ist. So bekommt man immer viel relevanten Input und Feedback.

 

Ende März wird uns das fertiggestellte Haus übergeben. Parallel beginnt der Aufbau der Dauerausstellung, die Einrichtung aller Räume. Wann wird das Leitsystem installiert?

Das wird voraussichtlich vor dem Sommer beginnen, nach der Übergabe des Gebäudes. Im Idealfall sollten die Arbeiten am Orientierungssystem Ende Oktober fertig sein. Das hängt aber auch davon ab, wann die Dauerausstellung und alles andere fertig ist. Wenn wir zum Beispiel mit Folien arbeiten, muss das Haus sauber und staubfrei sein. Informationen zur barrierefreien Nutzung wie die Leitlinien am Boden werden sicher erst ganz zum Schluss angebracht werden, wenn alle Vitrinen und „Hindernisse“ vorhanden sind. Und am Ende prüft eine Fokusgruppe von Eurer Inklusionsbeauftragten und dem Blindenverband, die uns schon in der Planungsphase begleitet haben, ob das System nach dem Mehr-Sinne-System gut funktioniert. Danach haben wir noch Zeit, mögliche Anpassungen vorzunehmen.

 

Gibt es Einschränkungen aufgrund des Denkmalschutzes im Haerdtl-Gebäude?

Wir wollten die denkmalgeschützte Substanz so wenig wie möglich angreifen. Im Foyer, auf dem Marmorboden, werden die Bodenleitlinien nur aufgeklebt. So sind sie reversibel und ich kann den Weg auch wieder ändern. Ursprünglich hätten die Architekt:innen eingefräste Leitlinien schöner gefunden, aber das geht schon nicht aufgrund der Norm, die sagt, ein Bodenleitsystem muss kontrastierend sein. Wir haben gemeinsam mit den Architekt:innen und dem Wien Museum hochwertige Metallstreifen zur Bemusterung ausgesucht, die sich gut abheben, aber schöner sind als zum Beispiel schwarze Plastikstreifen.

 

Gehen wir noch vor das Haus. Wie wird das Wien Museum am Karlsplatz gefunden?

Wir haben gemeinsam eine sehr schöne Lösung gefunden, um das neue Logo des Wien Museums gut in die Eingangsarchitektur zu integrieren. Als Schriftzug im Pavillon und mit den Anfangsbuchstaben WM als Türgriffe. Von der Materialität und der Qualität wird das nahtlos an der Architektur andocken. Dazu gibt es auf der Plaza Vitrinen links und rechts vom Eingang, die das aktuelle Programm zeigen. Und es laufen Gespräche mit der Stadt und den Wiener Linien über ein durchgehendes Blindenleitsystem von der U-Bahn bis ins Museum.

 

Welchen Weg wirst Du in Zukunft gerne im Wien Museum gehen oder finden?

Mein erster Weg wird mich sicher in die neue Dauerausstellung führen. Ich war in der alten im Rahmen der Wien-Woche in den 90er-Jahren. Jetzt ist alles anders, Geschichte wird ganz neu aufgearbeitet. Das finde ich echt spannend. Und dann natürlich rauf auf die Terrasse. Ich freue mich einfach auf das neue Haus, das Gebäude begleitet mich ja seit meinem Studium nebenan an der TU Wien und liegt auch am täglichen Weg ins Büro. Da war der Baufortschritt auch schön zu beobachten.

 

Und wie hast Du den Siegerentwurf von Certov, Winkler + Ruck beim Wettbewerb 2015, als junger Architekt, gefunden?

Ich finde die Verbindung von Neu und Alt sehr gelungen. Die Fuge ist ein sehr schlüssiges Konzept. Auch der Pavillon als großzügiger Ankunftsort gefällt mir sehr gut. Es macht etwas mit Dir als Besucher oder Besucherin, wenn Du nicht gleich in ein Gebäude geworfen wirst, sondern Zeit und Raum hast um anzukommen. Auch, dass das Wien Museum jetzt wieder als Solitär dasteht, macht viel. Ich empfinde alles zusammen als Aufwertung des gesamten Karlsplatzes.

 

 

 

Michael Herzog, geboren 1980 in Zell am See. 2000 bis 2010 Studium der Architektur an der TU Wien, Mitarbeit in diversen Architekturbüros. 2002 bis 2010 Studienassistent am Institut für Soziologie für Raumplanung & Architektur, TU Wien. 2015 Diplom für Architektur. 2016 Ausbildung zum Experten für barrierefreies Bauen. Seit 2007 Designer & Projektleiter für Orientierungssysteme im buero bauer – Gesellschaft für Orientierung und Identität, GmbH. Unterbrochen durch ein Jahr Bildungskarenz mit vertiefender Ausbildung Barrierefreies Bauen und einer Mitarbeit in einer Tischlerei für Vollholzmöbel MO-NI-KA.

 

Michael Herzog ist Designer und Projektleiter für Orientierungssysteme im „buero bauer – Gesellschaft für Orientierung und Identität“ und gestaltet das Leitsystem im neuen Museum.

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