Vorgestellt 56 │ August 2023
Nach erfolgreichem Umbau wird die neue Dauerausstellung aufgebaut, die Objekte werden eingebracht. Für Dich nach jahrelanger Ausstellungsplanung eine Zeit zum Durchatmen?
Eher nicht, denn wenn die Vitrinen aufgebaut sind und wir damit beginnen, sie einzuräumen, ist zuvor jede Menge an Feinarbeit notwendig. Heute haben wir zum Beispiel mit den Objekten gearbeitet, die in einer Großvitrine im Kapitel zur Osmanischen Belagerung ausgestellt werden. Im Vorfeld hatte Irina, die Gestalterin dieses Bereichs, zwar genau geplant. Wenn man dann aber mit den Arthandler:innen und den Kolleg:innen vor den vielfältigen Gegenständen steht, dann merkt man: der Teufel steckt im Detail.
Ist eine Vitrinenbefüllung eine komplexe Angelegenheit?
Auf jeden Fall etwas komplexer als das Hängen von Gemälden an einer Wand. Sarah Pichlkastner, die Sammlungsverantwortliche und meine Co-Kuratorin für dieses Kapitel, die zuständige Restauratorin Kathrin Schmidt und ich haben die Objekte vorab im Depot ausgewählt. Aber letztendlich sind sie ja alle individuelle Wesen. Kein Helm ist wie der andere. Einer etwas spitzer, der andere ein wenig runder, es gibt große, kleine, dicke, dünne.
Wie die Menschen, für die sie hergestellt wurden. Was dazu führt…
Dass man sich mit den Arthandler:innen und den Restaurator:innen jedes einzelne Objekt nochmal anschauen und überlegen muss, wie präsentiere ich es in der Vitrine, wie ist jedes Objekt von allen Seiten schön zu sehen? Und natürlich wichtig: es muss den Ausstellungsstücken in der Vitrine gut gehen.
Und dazu hattet Ihr heute eine Art Stellprobe?
Genau, wir stellen den gezeichneten Vitrinenplan mit den Originalen nach. Erst jetzt erkennt man, hier ist zum Beispiel ein Helm ein wenig eingedellt, daher muss der Montagehaken noch etwas ausgepolstert werden. Ein anderer ist größer, hier braucht es eine modifizierte Halterung. Manches wird dann erst im Zuge des Aufbaus konstruiert.
Das passiert in den jetzt eingerichteten Werkstätten im 4. Obergeschoss?
Einiges kann hier vor Ort gefertigt werden, größere und komplexe Halterungen werden aber extern produziert. Wenn die Vitrine Mitte August geliefert wird, werden wir nochmal das eine oder andere nachjustieren müssen. Dann werden auch die Texte angebracht werden, da sind wir dann auch dabei. Es ist nicht immer ganz einfach zu bestimmen, welche Beschriftung welches Objekt beschreibt. Wir, die Gestalter:innen, die Restaurator:innen, Arthandler:innen und die Kurator:innen, aber natürlich auch die Beleuchter:innen und viele mehr, werden bis kurz vor Eröffnung noch an tausenden Details der neuen Dauerausstellung arbeiten. Und dann erst durchatmen.
Wann bist Du in die Projektleitung der neuen Dauerausstellung eingestiegen, die Du gemeinsam mit Elke Doppler und unserer Produzentin Bärbl Schrems sowie in enger Abstimmung mit Matti Bunzl ausübst?
2016. Kurz nach dem Wettbewerb hat Matti das Projekt Neue Dauerausstellung gestartet und meinen damaligen Kollegen Ralph Gleis und mich gefragt, ob wir die Projektleitung übernehmen möchten. Als Ralph dann Direktor der Alten Nationalgalerie Berlin wurde, ist glücklicherweise Elke eingestiegen.
Wie ist Eure Aufteilung?
Ich bin eine Kulturhistorikerin, Archäologin, habe sehr viel mit materieller Kultur, also Alltagsgegenständen zu tun. Auch mit neuen Medien hatte ich schon meine Erfahrungen gemacht. Elke ist die, die sich zusätzlich sehr gut mit Grafik, mit bildender Kunst, mit Gemälden auskennt. Ich habe den Überblick bis in die frühe Neuzeit, Elke übernimmt von da weg. Wir ergänzen uns somit wunderbar. Und dazu kommen ja noch jede Menge Kurator:innen, die für die einzelnen Kapitel verantwortlich sind. Viele Kolleg:innen haben hier ja schon von ihrer Arbeit erzählt.
Ist es gut, dass der Direktor Teil des Teams ist?
Unbedingt. Der Direktor sollte genau wissen, was in der Dauerausstellung zu sehen ist. Es ist gut, wenn sich Matti aktiv beteiligt. Schließlich hat er die Ausstellung letztendlich zu verantworten.
8.000 Jahre Geschichte werden hier verhandelt. Was ist denn Eure große Erzählung über alle 13 Kapitel hinweg?
Für mich ist die große Erzählung, dass sich die Sorge von Menschen immer um ähnliche Dinge dreht. In der Vergangenheit waren die Lebensbedingungen zwar anders, zentral waren aber immer Fragen wie: Wo ist ein guter Siedlungsplatz? Wo kommt mein Essen her? Wie wohne ich? Wie arbeite ich? In welcher Gemeinschaft möchte ich leben, wie soll mein Umfeld aussehen? Diesen Fragen gehen wir unter anderem nach und dafür ist eine Chronologie förderlich – sie bildet auch unser Grundgerüst, das durch unsere Ausstellung leitet.
Stadtgeschichte als Menschengeschichte?
Ja, Menschen, die nicht nur ihr eigenes Leben gestalten, sondern auch die Umwelt nutzen und umformen. Das ist ein Prozess, der mit den ersten Ansiedlungen bei uns im Stadtraum beginnt und bis zum heutigen Tag anhält. Jede Gesellschaft lebt mit ihrer Umwelt, gestaltet diese. Ob das jetzt der Einzelne ist oder die jeweils herrschende Gruppe.
Und sie erschufen die Objekte.
Alle Objekte, die wir zeigen, sind von Menschen gemacht. Aus bestimmten Gründen, zu einem bestimmten Zweck. Auch die in der jeweiligen Zeit geschaffenen Kunstwerke folgen dem Zeitgeschmack und dem gesellschaftlichen Hintergrund. Im Mittelalter zum Beispiel, um gottgefällig zu sein. Bedeutende Kunstwerke aus dieser Zeit sind bisweilen hoch oben auf Kirchenbauten positioniert worden, wo sie eigentlich kein Mensch sehen kann. Oder ein Kunstwerk wie „Der letzte Mensch“ von Anton Hanak, das in den Jahren von 1918 bis 1924 entstanden ist. Ich werde zwar nie wissen, was der Künstler gedacht hat, als er das Kunstwerk schuf, aber für mich drückt er das ganze Elend des 1. Weltkriegs aus und weist mit seinen ausgebreiteten Armen auf eine neue Hoffnung im Roten Wien hin.
Und die nicht künstlerischen Objekte?
Wir haben versucht, durch die Ausstellung Linien zu ziehen, die sich über die Zeiten hinweg verfolgen lassen. Zum Beispiel: Ziegelproduktion. Die war bereits in der Römerzeit bedeutend und ist aufgrund der guten Rohstoffe, die wir in Wien haben, eine Erfolgsgeschichte bis heute. Für uns waren die Produktionsverhältnisse interessant oder was aus Ziegeln oder später dann aus anderen Baustoffen – wie etwa Beton – geschaffen wurde.
Mit Rohstoffen meinst Du, dass es hier schon immer Ton in der Erde gab?
Ja, und schon immer ist ein gutes Stichwort. Wir gehen sogar mehr als 11 Millionen Jahre zurück und schauen uns an, wie die lokale Landschaft geformt wurde. Wäre man damals am Nussberg gestanden und hätte in die Ebene geblickt, hätte man ein riesiges Meer gesehen, mit karibischen Bedingungen, Delphine und Haie sind hier geschwommen. Und dieses Meer, die ganzen Sedimente, die sich abgelagert haben, sind die Grundlage für den wertvollen Ziegelrohstoff. Der Beginn der Erfolgsgeschichte, sozusagen.
Dieses 1. Kapitel scheint Dir von den fünf Kapiteln, die Du als Kuratorin direkt mitbetreust, besonders wichtig zu sein.
Ja, ganz zu Beginn der Ausstellung greifen wir das Thema „Umweltgeschichte“ auf. Hier wollen wir zeigen, wie stark Mensch und Umwelt miteinander verschränkt sind und, dass ihre Handlungen immer Auswirkungen auf die Umwelt haben. Und das schon seit Jahrhunderten. Martin Mosser war als Grabungsleiter in der Stadtarchäologie für den Voraushub hier am Karlsplatz verantwortlich. Gemeinsam mit ihm hatten unsere Kooperationspartnerinnen Sabine Grupe, Katrin Hornek und Sophie Insulander, meine Co-Kuratorin, und ich die Idee, Ausgrabungen vor dem Wien Museum auch zu einem wissenschaftlichen Projekt zu machen. Sie wurden von Anfang an von einem Forschungsteam zum Anthropozän, dem Erdzeitalter, in dem der Mensch beginnt, die Umwelt nachhaltig zu verändern, begleitet. So war es auch möglich, alle von den Archäolog:innen dokumentierten Erdschichten naturwissenschaftlich zu untersuchen. Sämtliche Umweltsünden der letzten 200 Jahre sind zu Tage gebracht worden. Der Umgang mit der Umwelt ist eine der Linien, die sich durch die ganze Ausstellung ziehen.
Was waren denn die Umweltsünden vor 200 Jahren?
Der Abhang zum Bett des Wienflusses bot sich schon damals an, Müll in den Fluss zu kippen. Das führt zum Thema Mülldeponien. Durch verschiedene Planierungsmaßnahmen wurde das Flussbett immer mehr verengt, das führte in weiterer Folge zu bedrohlichen Hochwassern, die noch weit bis ins 19. Jahrhundert hinein Brücken weggerissen haben. Mit ähnlichen Problemen kämpfen wir auch heute. Weiters wurden durch Untersuchungen von Bodenproben Schwermetalle festgestellt, die mit Industrieabfällen – das Gusshaus ist ja ganz in der Nähe – in den Boden gelangten. Für mich war es am erschütterndsten, dass auch der radioaktive Outfall von Atombombentests aus den 1950er Jahren in den obersten Schichten des Karlsplatzes nachgewiesen wurde.
Apropos Fluss: Nun kommt man wieder darauf, dass es fein wäre, wenn die ganzen Stadtflüsse, die in den Untergrund verlegt wurden, an die Oberfläche zurückkämen, um die Stadt kühlen zu können.
Genau, die Renaturierung des Liesingbachs ist ein Fallbespiel, das wir anführen. In dem Fall ein positives. Denn es geht uns auch darum zu zeigen, wie man mit Umweltproblemen heute in der Stadt umgehen kann. Einzelne haben sehr wohl einen Handlungsspielraum und können dann einiges bewirken.
Im Moment wird ja in Wien ständig etwas ausgegraben, sehr viel aus der Römerzeit.
Alles kommt wieder zum Vorschein. Es gibt riesige Bauprojekte in der Stadt, wie den U-Bahn-Bau und den Einbau von Fernkälte- und Fernwärmeleitungen, die unser Geschichtsbild verändern. Es ist ein Wahnsinn, was die Kolleg:innen der Stadtarchäologie hier an neuen Erkenntnissen gewinnen. Ganz neue Blickwinkel auf die Besiedelungsgeschichte Wiens entstehen. Längst abgebrochene Bauwerke kommen wieder zu Tage. Ein Beispiel von vorgestern: Für unser Kapitel zum Festungsbau haben wir einen Ziegel aus der Renaissancebefestigung gesucht, den wir als Hands-on in der Ausstellung präsentieren können, also als Objekt zum Ertasten für sehbeeinträchtigte und blinde Menschen. Es war ein glücklicher Zufall, dass die Renaissancebefestigung gerade jetzt in einer Leitungsgrabung beim Kärntnertor, einer sogenannten Künette, dokumentiert wurde. Die Kolleg:innen vor Ort waren informiert und haben uns einen Ziegel aus der Mauer herausgeklopft. Ich habe mich so gefreut! Zwei Stunden nach dem Fund lag er schon auf meinem Schreibtisch. Es ist schon toll, wenn man über Ausgrabungen so am Puls der Stadtgeschichte sein darf.
Und Eure Entscheidung, die neue Dauerausstellung als chronologische Erzählung anzulegen, hat sich bewährt?
Wir versuchen, die Zeitlinie nicht langatmig, wie in einem Geschichtsbuch, das man Seite für Seite durchblättert, zu folgen, sondern gezielte Fragen an sie zu stellen: Was bewegt sich in der Stadt in bestimmten Zeitspannen? Wir versuchen, die Stadtgeschichte als Alltagsgeschichte zu erzählen. Mit Tiefenbohrungen dort und da. Bestimmte, uns wichtige Themen, wie Frauenleben, Umwelt oder Migration nehmen wir immer wieder quer durch die Jahrhunderte auf. Schon heute, wenn ich durch die sich bereits füllenden Räume gehe, hoffe ich, dass dieses Auf und Ab der Geschichte spürbar ist. So eine Ausstellung zieht nach sich, dass die Geschichte auch räumlich sehr verdichtet dargestellt wird. Kaum vorstellbar, dass viele Menschen, die an den modernen Errungenschaften des Roten Wiens partizipierten, nur drei Meter weiter, fleißig an den Schrecken der NS-Zeit beteiligt waren. Ich finde es total wichtig, dass wir unsere Besucher:innen auch auf Brüche in der Gesellschaft sensibilisieren. Bestimmte Phänomene kehren immer wieder und wir müssen achtsam sein, um sie nicht wieder zuzulassen.
Wie bringt Ihr die Besucher:innen zum Innehalten, zum Nachdenken?
Indem wir Räume für Reflexion schaffen und versuchen, unsere Besucher:innen in bestimmten Bereichen der Ausstellung an der Stadtgeschichte aktiv teilhaben zu lassen. Musste ich etwa im Mittelalter wirklich alles als gottgegeben hinnehmen? War es möglich, mitzugestalten: das eigene Leben und auch die Gesellschaft? Wenn es uns gelingt, zum Nachdenken anzuregen, bin ich sehr glücklich.
Als ich genau vor drei Jahren mit Elke Doppler sprach, hattet Ihr gerade die Vorplanung abgeschlossen, Inhalte festgelegt, Objekte ausgewählt. Aber es hat sich dann doch noch einiges verändert, auch aufgrund neuer Forschungsergebnisse?
Ein Wahnsinn, wie schnell diese drei Jahre vergangen sind. Und ja, es hat sich noch sehr viel geändert. Vielleicht nicht die Dinge, die an der großen Oberfläche sichtbar sind, aber sehr wohl im Detail. Und es ist total schön, dass man in so einem großen Projekt auch die Möglichkeit hat, Forschung zu betreiben.
Ein Beispiel?
Gerne: Im Mittelalter zeigen wir ein neues Stadtmodell, da das alte im Detail nicht mehr dem Stand der Forschung entsprach. Es war uns möglich, ein dreijähriges Projekt mit Kolleg:innen, wie dem Bauforscher und Archäologen Paul Mitchell und Martin Mosser von der Stadtarchäologie zu initiieren. Hier wurden alte Stadtpläne evaluiert und die mittelalterlichen Haus- und Parzellenstrukturen aufgrund von archäologischen Ausgrabungen und der Bauforschung an historischen Gebäuden rekonstruiert. Diese wurden dann in einem geografischen Informationssystem zusammengespielt und vom Team der Firma 7reasons, vor allem aber von Christian Sovis, in 3D modelliert. Darüber hinaus gab es auch Vernetzungen mit anderen Institutionen und Forschungsinstituten, wie mit dem Stadt- und Landesarchiv, der Akademie der Wissenschaften oder der Uni Wien, die wiederum ihre Forschungsergebnisse beigesteuert haben. Dadurch konnten wir auch weitere Informationen zu den in einem bestimmten Viertel lebenden Menschen gewinnen. Durch die Zusammenarbeit hat sich ein Netzwerk von Forschenden gebildet, das sicher über die Planungsphase der Dauerausstellung hinweg Bestand haben wird. Ich finde auch total interessant, was Sarah im Kapitel zur Osmanischen Belagerung herausgefunden hat.
Aber ist es nicht manchmal auch anstrengend, dass Kapitel aufgrund von neuen Erkenntnissen immer wieder überarbeitet werden müssen?
Oh nein, gar nicht! Genau diese Forschungen sind es, aus denen ich neue Energie ziehe. Wie im ersten Kapitel: Hier wird es ein Naturraummodell geben, mit dem wir die Stadtgestalt mit der Veränderung der Flusssysteme vom Urmeer bis zur Jetztzeit darstellen. Dazu gibt es seit vielen Jahren ein Forschungsprojekt von Severin Hohensinner, er arbeitet an der BOKU mit Unterstützung von verschiedenen Magistratsabteilungen, allen voran der MA 45, Wiener Gewässer und der WGM (Wiener Gewässer Management) mit Sabine Grupe und Tom Payer. Hier wird die Geologie Wiens im Zusammenhang mit den Grundwasser führenden Schichten erforscht. Die Flussmorphologie der Jahrhunderte vor dem 16. Jahrhundert hatte noch gefehlt. Durch die Kooperationen konnte Severin nun die Verläufe der Donau vom Anfang der Besiedlung bis heute erforschen. Die Archäologie lieferte dazu Informationen zu historischen Siedlungsflächen. Unsere Daten fließen wiederum in die Forschung der Stadt zurück, die riesigen neuen Datenpools können als Grundlage für neue Arbeiten genutzt werden. Dieses gemeinsame Forschen in der Stadt taugt mir total.
Also könnte man sagen, dass in den letzten sieben Jahre das Wien Museum ein Zentrum der Forschung zur Geschichte Wiens war?
Vielleicht nicht Zentrum, aber ein Schnittpunkt sicher. Es ist wirklich toll, wie viele Forscher:innen mit Begeisterung zu unserer Ausstellung beigetragen haben, weil sie es wichtig finden, dass Wissen einer breiteren Öffentlichkeit weitergegeben wird. Und Vermittlung funktioniert nun mal sehr gut über ein Museum. Insofern ist eine gewisse Arbeitsteilung nicht schlecht: Die einen forschen, die anderen übersetzen die Forschung.
Ich habe mal versucht zusammenzuzählen, wie viele Personen im näheren Umfeld an der neuen Dauerausstellung arbeiten, und kam auf 70.
Das müssen weit mehr sein. Dazu kommen ja noch die Arthandler:innen, die Möbelbauer:innen, die Maler:innen, die mit einer ungeheuren Präzision im Kapitel 7 die Wandmuster mit Walzen händisch angebracht haben, und viele andere. Das müssen weit über 100 sein.
Was sind das für Wandmuster?
Das sind Muster, die eine biedermeierliche Wandgestaltung suggerieren. In diesem Kapitel gibt es aber immer wieder sogenannte Schattenfelder in grau. Sie weisen auf andere Lebensaspekte der Zeit als Ergänzung zu unserer Sammlung an Kunstwerken hin. Diese grauen Felder sind im Dekor des Wandmusters aufgenommen und sollen so das zeigen, was unter der Oberfläche schlummert. Eine geniale Idee unserer Grafiker:innen Larissa Cerny und Martin Embacher.
Gibt es eine Dokumentation über die Entstehung der neuen Dauerausstellung?
Das schaffen wir jetzt im Moment leider nur punktuell. Dazu bräuchte es eine eigene Abteilung. Aber es gibt hunderte Protokolle von Besprechungen, Pläne und Fotos, aus denen sich alles nachvollziehen lässt.
Du bist ja in Sachen Dauerausstellung bereits geübt, hast die Dauerausstellungen im Römermuseum, Virgilkapelle und zuletzt, so nebenbei, im Neidhart Festsaal mitgestaltet. Solltest Du ein Lehrbuch Dauerausstellung schreiben, was sind die wichtigsten Parameter?
Das Allerwichtigste für mich ist: Für wen mache ich die Ausstellung? Das ist die zentrale Frage. Im Römermuseum, meiner ersten Dauerausstellung, standen die Schulklassen an erster Stelle, unsere größte Besuchergruppe. Und dann auch die Wiener:innen und Wiener, die Tourist:innen, und natürlich sollte auch das Fachpublikum angesprochen werden. Also eh alle … okay, eine schwierige Herausforderung. Beim Neidhart Festsaal standen dann aber wirklich die Schulklassen absolut im Mittelpunkt. Nathaniel Prottas und sein Team aus der Vermittlung brauchten den Standort einfach auch als Ausweichquartier zum Wiener Mittelalter, solange das Wien Museum umgebaut wurde. Die Virgilkapelle dagegen ist auch ein Ort der Stille, hier sollen Menschen Kontemplation finden können.
Und nun für das neue Wien Museum?
Auch wenn es ein Ort für viele sein soll, möglichst niederschwellig, inklusiv, gibt es auch hier bestimmte Zielgruppen, die wir besonders ansprechen möchten. Wieder sind Schulklassen ein sehr wichtiges Segment. Die Lehrer:innen, die wir als Beirat auch bereits ganz zu Beginn der Planung zugezogen haben, erwarten sich, dass ein Stadtmuseum der Ort ist, an dem sie mit ihren Schüler:innen die Geschichte der Stadt erforschen können. Es soll auch ein Ort der Reflexion über Geschichte sein.
Aber auch Tourist:innen sollen mehr angesprochen werden. Ist das ein Widerspruch zu den Schulklassen?
Gar nicht, auch wenn diese Gruppe vielleicht vorwiegend von unserer großartigen Gemäldesammlung angezogen wird. Was wichtig ist: Kinder und Jugendliche interessieren sich prinzipiell für alles, wenn man es ihnen spannend vermittelt. Dazu braucht es Raum, es müssen Flächen bereitgestellt werden, wo man mit einer 25-köpfigen Schülergruppe gut stehen kann, um etwas zu erklären. Unsere Vermittler:innen waren hier von Anfang an in die Planung involviert und zum Glück sind auch unsere Gestalter:innen Robert Rüf, Irina Koerdt und Sanja Utech voll auf dieses Thema aufgesprungen.
Damit sind wir beim großen Thema Inklusion angekommen.
Hier war unsere größte Errungenschaft, dass wir Jenny Carville Schellenbacher ins Team geholt haben, die wirklich wie eine Löwin in jeder Sitzung saß – sei es, um bauliche Parameter wie Toilettenanlagen oder Leitlinien am Boden durchzusetzen oder die Inklusion in Medienstationen oder Hands-ons, also taktilen Objekten, einzufordern. Das ist ja ein wahnsinnig komplexes Thema. Es betrifft auch unseren Anspruch, möglichst viele gesellschaftliche Gruppen in der Ausstellung vorkommen zu lassen und anzusprechen. Dafür wurden unsere fertigen Konzepte immer wieder von Leuten evaluiert, die sich mit bestimmten brennenden Themen wie LGBTIQ+ auseinandersetzen oder die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen genau kennen. Oft wurden dann noch Objekte ausgewechselt, oder neue Medienstationen konzipiert. Es ist gar nicht so leicht, allem einen Platz und eine Sprache zu geben. Auch ohne diese Menschen dadurch vorzuführen, oder ihnen ein Mascherl zu geben. Was ich in den ganzen Jahren wirklich am spannendsten aber auch anstrengend fand, waren genau diese irrsinnig vielen Diskussionen, die wir geführt haben. Und die vielen Schleifen, die wir noch eingelegt haben, als wir dachten, wir sind schon fertig.
Aber dazu braucht man viel Geduld und Nerven.
Aber es lohnt sich. Elke und ich haben wirklich viel Energie in die Ausstellung gesteckt. Auch wenn wir nicht immer alles so umsetzen konnten, wie wir es gerne getan hätten.
Der Faktor Mensch ist bei solchen Großprojekten ja oft der schwierigste, unberechenbarste. Aber hier scheint er sich vorwiegend produktiv gezeigt zu haben? Ich hatte immer das Gefühl, es ist auch eine gute Stimmung unter Euch.
Kann man schon sagen. Es gibt natürlich immer Höhen und Tiefen, vor allem, wenn so ein Projekt über so viele Jahre geht. Sieben Jahre, das ist eine sehr lange Zeit. Aber das ganze Team ist sehr motiviert, und nimmt die Chance wahr, ein neues Stadtmuseum mitgestalten zu können. Das macht man nur einmal im Leben.
Aber dann ist auch gut?
Ja. (lacht)
Michaela Kronberger, geboren 1964 in Salzburg; Studium der Archäologie und Kunstgeschichte in Salzburg und Wien, 2003 Promotion; 1991 bis 1997 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Österreichischen Archäologischen Instituts; 1997 bis 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stadtarchäologie Wien und selbstständige Archäologin. Seit 2004 Kuratorin im Wien Museum, seit 2020 Sammlungsleitung Objektwesen. An Dauerausstellungen hat sie den Neidhart Festsaal (gemeinsam mit Nathaniel Prottas), die Virgilkapelle sowie das Römermuseum (gemeinsam mit Kristina Adler-Wölfl) eingerichtet.
Michaela Kronberger bildet mit Elke Doppler und Matti Bunzl die kuratorische Projektleitung der neuen Dauerausstellung und verantwortet als Kuratorin in Zusammenarbeit mit Kolleg:innen die ersten fünf Kapitel.