Niko Wahl

Externer Kurator

Vorgestellt 19 │ April 2021

 

 

Dein historisches Fachgebiet ist die jüngere Vergangenheit?

Ja, also mein kuratorisches Fachgebiet. Mein Historikerdasein liegt eine Reihe an Jahren hinter mir. In erster Linie forsche ich nicht, sondern arbeite an Ausstellungen.

 

Wo ist der Unterschied?

Die Historiker:innen machen Forschungsprojekte, die Kurator:innen Ausstellungsprojekte. Ich sehe das zumindest so. Natürlich können Kurator:innen hierbei auch Neues herausfinden. Bei unserer Ausstellung „SchwarzÖsterreich“ über Kinder von afroamerikanischen Besatzungssoldaten im Volkskundemuseum haben wir zugleich geforscht und ausgestellt. Aber in der Regel steht man auf den Schultern von Giganten, baut auf dem auf, was andere erforscht haben.

 

Warum hast Du Dich auf die jüngere Vergangenheit fokussiert?

Auf alle Fälle ist sie der spannendste Teil der Geschichte, zumindest für mich. Mich interessiert Geschichte dort, wo sie noch weh tut. Am meisten Emotionen auslöst. Als ich in den 90er Jahren studiert habe, war die NS-Zeit das zentrale gesellschaftliche Thema. Auch weil so viele Zeitzeugen auf beiden Seiten noch am Leben waren und Rollen in der Gesellschaft gespielt haben.

 

Wann hast Du das erste Mal mit dem Wien Museum gearbeitet?

Das war 2009 mit Wolfgang Kos für die Ausstellung „Kampf um die Stadt“, Wien in den Spannungsfeldern der 1920er und 1930er Jahre.

 

Wie kam es dazu?

Ich denke, weil ich davor für Joachim Riedl an einer Ausstellung gearbeitet hatte, die sich mit dem jüdischen Gesellschaftspanorama der 20er Jahre in Wien beschäftigte. Wolfgang Kos hat die Ausstellung für das Wien Museum dann auf den Konflikt zwischen dem Roten Wien und dem Austrofaschismus fokussiert.

 

Die Ausstellung "SchwarzÖsterreich" hat ziemlich Aufsehen erregt.

Ein Erfolgsgrund der Ausstellung war sicher, dass für ganz viele Menschen dieser Aspekt der österreichischen Nachkriegsgeschichte, der bis heute hineinreicht, eine ganz neue Geschichte war. Da sind wir vielleicht wieder bei der Frage: Wo tut Geschichte weh? Oft wenn sie das eigene historische Narrativ hinterfragt.

 

Was war für Dich hier das Außergewöhnliche, was hast Du für Dich mitgenommen?

Was ich dort gelernt habe und was mir viel Freude bereitet hat, und das tut es bis heute: Unser partizipatives Vorgehen. Wir haben damals mit den Zeitzeug:innen eng zusammengearbeitet, sie interviewt, in die Konzeption der Ausstellung einbezogen, wie sie vorkommen wollen, was das für Folgen haben kann. Sie haben sich auch untereinander kennengelernt und halten diese Kontakte bis heute. Es geht auch bis heute die Forschung an ihren Geschichten weiter.

 

Apropos weh tun: Ist man nicht manchmal an der jüngeren Geschichte vielleicht zu nah dran?

Ich muss das besser ausdrücken: Ich meine, dass Geschichte mich berühren sollte. Und das tut sie sicher stärker, wenn ich einen unmittelbaren Bezug dazu habe. Wenn ich jetzt in der Nachkriegszeit aufgewachsen bin, aber nichts von einem bestimmten Aspekt, also beispielsweise dem der Besatzungskinder, mitbekommen habe, dann rüttelt das meine Erinnerung auf. Warum habe ich da nicht hingesehen?

 

Aber ist die eigene Disposition dabei nicht auch ein Problem? Werte ich nicht automatisch?

Also ich halte es nicht für ein Problem, eine Meinung zu haben. Sogar eher für sehr relevant. Aber es ist natürlich ganz wichtig, dass man sich bewusst ist, dass man eine Haltung hat. Und sie transparent macht. Und sich durch sie nicht den Blick auf Fakten versperren lässt. Das Wien Museum geht da ja ganz aktiv damit um.

 

Wie ist denn die Haltung des Wien Museums?

Die wurde eigentlich vor Beginn der Planung der neuen Dauerausstellung, bevor ich dazu kam, festgelegt und zeigt sich auch in den Fragestellungen an die neue Ausstellung.

 

Zum Beispiel?

Ich würde sie mal mit den Adjektiven offen und inklusiv zusammenfassen. Sie zeigt sich in den Fragestellungen: Bildet die Ausstellung alle Stadtgesellschaften ab, kommen unterschiedliche Herkünfte und Geschlechter zu Wort?

 

Für die Dauerausstellung Neu hast Du zwei Schlüsselfunktionen?

Seit anderthalb Jahren koordiniere ich die letzten vier Kapitel, die Zeit von 1918 bis heute. Ich bespreche mit den Kurator:innen ihre Inhalte, ich schau‘, dass sich diese nicht doppeln und dass sie miteinander funktionieren. Ich versuche, inhaltliche Ezzes zu geben, wo ich sie habe. Daraus hat sich ergeben, dass ich mich in einzelne Kapitel immer stärker eingebracht habe. 

 

Du arbeitest jetzt als Co-Kurator in den Bereichen zum Roten Wien und zum Austrofaschismus, zur Vergangenheitsbewältigung und zur jüngsten Geschichte mit. Wo startet Ihr räumlich?

Im zweiten Obergeschoss, nach 1918, nach Loos und Klimt. Wobei das Waldheim-Pferd in der Halle auch zu uns gehört. Wir machen auch den 1. Weltkrieg noch mit, zumindest was seine Bedeutung innerhalb Wiens Stadtgrenzen betrifft. Wien war ja kein Kriegsschauplatz. Mit der großen Begeisterung, die in großem Elend endete.

 

Gehen wir ins Kapitel zur Zwischenkriegszeit, wie ist hier Eure Erzählung?

Zentral im Raum, also auch in der Architektur, ist das Rote Wien. Welche Auswirkungen hatte es auf die Stadt, welche Spuren hat es hinterlassen und welch umfangreiches Konzept liegt dahinter? Das berühmte „Von der Wiege bis zur Bahre“: Das Rote Wien versuchte Angebote an alle, oder zumindest für eine sehr breite Bevölkerungsschicht zu machen. Dazu gibt es ein Rund-Herum. Das nennen wir das Stadtleben. In Wien ist auch wahnsinnig viel passiert, was nichts mit dem Roten Wien zu tun hatte. Parallelentwicklungen in der Technik, Kunst, Wissenschaft, in Architektur und im Design. Von der politischen Geschichte her beginnen wir mit dem großen Bruch, den der 1. Weltkrieg darstellt. Aus dem sich das Rote Wien heraus entwickelt. Aber auch ein davon unabhängiger Bevölkerungsteil, dem wir dann im Austrofaschismus und in der NS-Zeit wieder begegnen. Soll nicht heißen, dass sich niemand aus dem Roten Wien in der NS-Zeit hervorgetan hätte. Wir haben nicht allzu viel Platz und versuchen, über einzelne Objekte große Geschichten exemplarisch anzureißen.

 

Welche Objekte beispielsweise?

Das sind ganz klassische wie das Säuglingswäschepaket der Stadt Wien. Mein Lieblingsobjekt ist der Weltatlas von Otto Neurath. Er war eine der prägendsten Personen in Sachen moderne Kommunikationsstrategien. Fotografien, Plakate, Texte, Propaganda und neue Massenmedien. Er zeigt uns, dass sehr vieles, was das Rote Wien ausmachte, Kommunikation war. So hat es die ganze Zeit seine Visionen und Utopien nach außen transportiert, um die Bevölkerung bei der Stange zu halten. Um sie zum Mitmachen aufzufordern.

 

In wieweit spielt die letzte Rotes Wien-Ausstellung im musa von 2018 hier eine Rolle?

Wir arbeiten eng mit Werner Schwarz, dem Kurator der Ausstellung, zusammen. Greifen Elemente auf, aber haben doch eine eigene Entwicklung und Erzählung. Weil man diese Ausstellung nicht schrumpfen kann und weil das Rote Wien auch eine ganz spezifische Rolle innerhalb der Dauerausstellung spielen muss.

 

Welche Objekte erzählen vom Stadtleben außerhalb des Roten Wiens?

Das ist zum Beispiel der Wäscheschrank von Joseph Frank, ein absolutes Highlight. Er steht für eine sehr warme Moderne, die auch etwas Wienerisches hat. Ein sehr teures Designobjekt, das in eine andere Welt schaut.

 

Jetzt wurde gerade auch ein spektakuläres Objekt auf einem Dachboden im 19. Bezirk gefunden, das Ihr in dieses Kapitel mitaufnehmt?

Ja, vier fabriksneue Karabiner samt Munition und Flugzetteln aus einem Versteck des Schutzbundes, einer paramilitärischen Organisation der Sozialist:innen. Sie werden von einer Zeit der fortschreitenden Militarisierung, der Verhärtung der Fronten und der zunehmenden Gewalt erzählen und von dem verzweifelten und gescheiterten Versuch, die Demokratie im Bürgerkrieg zu verteidigen.

 

Eigentlich ist die Objektauswahl für die neue Dauerausstellung ja schon abgeschlossen. Es muss Euch also sehr wichtig sein.

Das war natürlich ein super Fund für uns. Ein politisch-historisches Objekt wie aus dem Bilderbuch. Aber so etwas wird uns in den jüngeren Kapiteln immer wieder begegnen. Zum einen gab es diesen Zeitabschnitt in der alten Dauerausstellung nicht. Es gibt also keine so starke Kanonisierung der Objekte, was in diese Ausstellung gehört oder nicht. Und es ist eben auch ein Bereich - hier sind wir wieder beim Thema, wie nah Geschichte sein kann - wo immer wieder neue Objekte auftauchen können.

 

Was ist das Vergangenheitsbewältigungs-Kapitel?

Ein runder Raum. In der Koordination aller Kapitel ab 1918 haben wir beschlossen, dass die Vergangenheitsbewältigung hier der Dreh- und Angelpunkt ist. Die gesamte neue Dauerausstellung ist ja eine chronologisch verlaufende Erzählung. Das Ringen mit der NS-Vergangenheit war uns dabei ein besonderes Anliegen. Wir wollten das nicht an einer einzelnen Stelle verorten, und dann ist es auch gleich wieder abgehakt und man geht weiter. Sondern diese Vergangenheit begegnet Dir immer wieder auf unterschiedlichen Ebenen und Perspektiven. So haben wir die früheren Ausstellungsarchitekt:innen chezweitz, die den Vorentwurf mit uns entwickelt haben, gebeten, einen Raum zu schaffen, der eher ein Kreuzungspunkt ist, durch den man immer wieder gehen muss und den man in immer verschiedene Richtungen wieder verlassen kann. Der auch sehr viel eigenes Tun und eigene Auseinandersetzung verlangt. Viel Interaktion.

 

Sehr spannend. Mehr wollen wir hier jetzt gar nicht verraten. Ich spreche demnächst auch mit Martina Nußbaumer, mit der Du das letzte Kapitel kuratierst. Sag mir nur kurz, was ist Dir hier wichtig?

Die Grunderkenntnis für dieses Kapitel ist: Was macht die Stadt in den letzten 30 Jahren aus? Sie ist vor allem durch Migration um 25 Prozent gewachsen: Migration aus den ländlichen Gebieten, aus der gesamten EU und aus Nicht-EU-Ländern. Was hat das für Auswirkungen, was bringen diese Menschen mit, was entwickelt sich daraus? Ein sehr spannendes Kapitel. Wir zeigen hier wenig klassische Objekte, dafür ist alles sehr partizipativ ausgerichtet. Hier werden viele Stadtbewohner:innen selbst zu Wort kommen, machen selber mit. Und das Publikum soll in der Lage sein, seine eigene Geschichte mit der Stadt zusammenzustellen.

 

Der Partizipationsgedanke ist ganz Deiner!

Ich finde es immer spannend, Leute nicht nur zu Aktivitäten in Ausstellungen zu motivieren, sondern tatsächlich auch bei der Erstellung von Ausstellungen zusammenzubringen. Was mir aber auch ein Anliegen ist, ist das Inklusive Museum. Im Kapitel zum Vergangenheitsbewältigungsrondell, tritt das Museum auch selber auf. Wie geht man mit Raubobjekten in der Sammlung um, wie ist der Prozess der Restitution? Hier kehrt das Museum auch vor seiner eigenen Tür. Und im letzten Kapitel fragen wir uns: Was ist ein neues Sammlungsobjekt? Und blicken damit in die Zukunft des Stadtmuseums.

 

Kommen wir nochmal kurz zurück auf Deine koordinierende Tätigkeit. Wie sieht diese strukturell aus?

Ich koordiniere inhaltliche Termine mit den Ausstellungsarchitekt:innen, früher mit chezweitz und jetzt mit koerdtutech und Robert Rüf, mit denen wir den Entwurf bearbeiten. Ich schaue, dass alle Informationen weitergehen, dass Deadlines eingehalten werden. Ich versuche eine Mittlerrolle einzunehmen, den Kurator:innen den Rücken zu stärken. Dass ihre Objekte im Vordergrund stehen und sich gegen eine Architektur behaupten können. Ich versuche aber auch, den Architekt:innen den Rücken zu stärken, so dass die Architektur nicht auf ein reines Bewahrungselement reduziert wird. Das ist ein wenig wie ein Pingpong-Spiel.

 

Streiten sich Kurator:innen manchmal mit Koordinator:innen?

Na klar muss man sich immer selber auf die Füße steigen, nicht zu gierig zu sein und zu viele Objekte zu wollen. Dass betrifft Kurator:innen generell. Das Wien Museum hat eine unglaubliche Sammlung. Da verliebt man sich recht schnell in vieles. Es ist immer eine Verhandlung gegen sich selber.

 

Was wünschst Du Dir für das neue Wien Museum?

Das Wichtigste für mich ist, dass es gelingt, ein Haus zu werden, das sehr vielen Personen gehört. Dass Leute mit einer großen Selbstverständlichkeit dort hinein gehen. Dass sie nicht als Besucher:innen kommen, sondern eigentlich als Besitzer:innen.

 

Wird das Wien Museum Neu dies schaffen?

Ich denke, dass das Wien Museum einen großen Vertrauenspolster hat. Ich glaube, die Leute mögen die Themen, die im Wien Museum behandelt werden. Ich glaube, dass die Vermittlung sehr stark aufgestellt ist, und es gibt viele richtige Überlegungen in Richtung Outreach. Also ja. Das Haus versucht viele Voraussetzungen zu schaffen und investiert viel. Aber alles wird auch nicht gleich zu Beginn so klappen, das wird ein Prozess werden. Was sicher auch eine gute Grundlage ist, ist die Absicht, den Eintritt in die Dauerausstellung gratis zu machen. Wenn das Haus mein Haus sein soll, dann darf ich nicht für mein Zuhause zahlen müssen.

 

 

 

Niko Wahl, geboren 1974 in Wien, studierte Geschichte an der Universität Wien. Er arbeitet als freier Kurator und als Partner im Wiener Kulturbüro kollwitz/montefiore/wahl an Kulturkonzepten, Ausstellungen und wissenschaftlichen Projekten. Er war an Ausstellungsprojekten unter anderem für das Jüdische Museum Wien, das Volkskundemuseum Wien, die Gedenkstätte Mauthausen, das Josephinum und das Wien Museum („Kampf um die Stadt“ gemeinsam mit Wolfgang Kos, 2009) beteiligt. Er war Mitarbeiter der Österreichischen Historikerkommission und als Projektentwickler für die Kulturhauptstadt Linz09 tätig
 

Für die Dauerausstellung Neu koordiniert er die Zeit ab 1918 bis heute und ist Co-Kurator der Kapitel Zwischenkriegszeit, Vergangenheitsbewältigung und erweiterte Gegenwart.

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