Nora Gasser

Restauratorin

Vorgestellt 15 │ Jänner 2021

 

 

Handwerkerin oder Wissenschaftlerin – wie siehst Du Dich?

Ich glaube, die Restaurierung ist eine gute Kombination aus beidem. Man braucht zum einen die wissenschaftliche Arbeit, man muss viel recherchieren. Ich will ja wissen, was ist das für ein Objekt, wo kommt es her, wann und wie ist es entstanden? Was sind die geschichtlichen, kulturellen Hintergründe, aus welchen Materialien besteht es? Zum anderen muss ich mich aber auch gut mit Materialien auskennen und mich mit den unterschiedlichsten Techniken auseinandersetzen. Und natürlich handwerklich sehr geschickt sein.

 

Du bist Restauratorin für Papier. Wie kamst Du zur Restaurierung?

Ich war schon als Kind viel in Museen, kunstinteressiert und habe auch gerne etwas Handwerkliches gemacht. Nach der Matura habe ich dann ein Jahr Kunstgeschichte studiert. Aber das alleine war mir zu wenig. Ich wollte immer eine Kombination von praktischer Arbeit und Forschung.

 

Und wie kam es zu der Spezialisierung auf Papier?

Im ersten Jahr des Studiums „Restaurierung und Konservierung“ an der Akademie der Bildenden Künste konnte man in die verschiedenen Fachbereiche hineinschnuppern. Eigentlich wollte ich gar nicht zu Papier und Grafik. Ursprünglich wollte ich Wandrestaurierung studieren. Besonders Stuck und Architekturoberflächen hatten es mir angetan. Aber wider Erwarten hat mir dann der Papierbereich viel besser gefallen, weil er so feinteilig war und so viele Facetten hatte.

 

Welche Facetten hat die Papierrestaurierung?

Hier geht es nicht nur um Zettel oder Bücher, der Bereich ist breit gefächert: von Druckgraphiken über Handzeichnungen und Malerei auf Papier, Karton, Pergament- oder Elfenbeinträgern, Plakaten, Plänen, über Bücher, Archivgut, Fotos bis hin zu Modellen, 3-dimensionalen Objekten wie Pappmaschee und diverse Materialkombinationen. Das ist ein total spannendes Feld. Im letzten Jahr habe ich mich dann noch auf den modernen, zeitgenössischen Bereich spezialisiert, weil er so viele neue Materialien und Materialkombinationen mit sich bringt.

 

Hat Deine Arbeit viel mit Chemie zu tun?

Ja, sehr viel, das hat mich anfangs auch erst mal abgeschreckt. Aber zum Glück dreht es sich eher um Chemie in ihrer praktischen Anwendung. Ich habe zum Beispiel gelernt, wie man Lösemittel mischt oder wie man Gele ansetzt, welche Mittel welche Materialien lösen beziehungsweise wie ihre Wirkungsweisen sind und welche Eigenschaften sie haben.

 

Welches Werkzeug verwendet ihr?

Das kommt immer aufs Objekt an. Aber unsere Grundausstattung umfasst viele verschiedene Reinigungsmaterialien, Radiergummis, Stifte und Farben, Pinsel, Besen, kleine Schwämmchen, Scheren, Skalpelle usw. Kleine Spateln sind auch immer gut.

 

Du erforschst das Objekt. Was entdeckst Du Spannendes oder Unerwartetes?

Zum Beispiel beim Modell St. Stephan, das wir gerade in der Werkstatt haben, hat sich der Modellbauer und letzte Restaurator verewigt. Und unter dem Dachstuhl hat man kleine Papierrollen entdeckt und eine Schachtel mit diversen, vermutlich zum Modell gehörenden Kleinteilen. Ob die Schriftstücke relevante Informationen für das Objekt und unsere Arbeit beinhalten, wissen wir noch nicht, das werden wir jetzt zum Jahresbeginn herausfinden.

 

Das Stephansdommodell wurde diesen Sommer aus dem Stephansdom abgeseilt und wird in der neuen Dauerausstellung zu sehen sein. Wie war hier Euer Arbeitsprozess?

Im ersten Schritt haben wir uns das Modell erst mal angeschaut. Du weißt ja, es ist riesig, der Turm ist fünfeinhalb Meter hoch, und es stand seit 1974 auf dem Dachboden des Stephansdom. Aus wieviel Teilen besteht es, wie groß sind die einzelnen Teile, wie sind sie ineinandergesteckt, welche Materialen sind verwendet worden? Die Teile waren aufgrund des Holzkerns weit schwerer als gedacht. Und die Oberflächen sind so feingliedrig verziert und die Papierflächen teilweise sehr brüchig, sodass sie kaum angegriffen werden können, ohne beschädigt zu werden. Mein Kollege Andreas Gruber und ich haben mit vier Arthändlern und vielen anderen das Modell in über 60 Teile zerlegt und für den Abtransport verpackt.  Die 18 extra angefertigten Kisten mit den großen Teilen wurden dann durch das Kirchenschiff aus 37 Metern abgeseilt. Das war schon sehr aufregend.

 

Und was passiert jetzt im Depot?

Die Teile wurden zuerst wochenlang in der Stickstoffkammer behandelt, um mögliche Schädlinge abzutöten. Nun beginnt unsere eigentliche Arbeit. Ein Stück vom Mittelschiff ist jetzt bereits in der Restaurierung. Wir haben erste Reinigungsproben mit Pinsel und Radiergummi gemacht, mit feuchten Wattestäbchen und unterschiedlichen Lösungsmitteln, um zu schauen, mit was löst sich der Schmutz, mit was die Farbe…

 

Was ist, wenn die Farben auf dem bemalten Papier völlig ausgeblichen oder zerstört sind. Retuschiert Ihr dann?

Wir werden sicher einige Teile ergänzen und auch Fehlstellen retuschieren müssen. Ausgebleichte Stellen gehören aber zur Objektgeschichte und sollen, sofern sie das Erscheinungsbild des Objektes nicht maßgeblich stören, belassen werden. Aber am Dach hat man schon gesehen: Durch eine entsprechende Reinigung kommt die Farbe wirklich wieder schön zum Vorschein.

 

Ihr werdet dann auch die Einbringung ins neue Museum begleiten. Können die Besucher:innen dann von unten in das Modell hineinschauen? Es ist ja auch innen naturgetreu nachgezeichnet.

Ja, auf alle Fälle. Es werden gerade verschiedene Möglichkeiten durchgedacht und ausgearbeitet, um den Besucher:innen das eindrucksvolle Innere zugänglich zu machen. Alleine der Wiederaufbau des Modells wird sehr spannend. Es muss ein großes Gerüst gebaut werden, und ob sich dann alle Teile wieder so gut verbinden lassen… Kleine Restaurierungsmaßnahmen müssen dann vor Ort gemacht werden, oft sieht man erst im Ausstellungslicht, wo noch etwas blitzt.

 

Wie muss das Ausstellungslicht für Papier sein?

Papier ist natürlich sehr empfindlich. Es altert vor allem durch Licht und Umwelteinflüsse, wird braun und brüchig. Deswegen werden Papier- oder Grafikobjekte selten dauerhaft ausgestellt, sondern über einen begrenzten Zeitraum bei maximal 50 Lux Lichtstärke. Und möglichst kein Tageslicht! Im Endeffekt wird aber die Ausstellungsmöglichkeit pro Objekt separat entschieden: Wie ist seine Papierqualität und -stärke, wie sein Zustand, wie oft war es schon ausgestellt, welche Präsentationsmöglichkeiten gibt es?

 

Da hilft auch Glas nichts?

Glas kann einen Schutz vor UV-Licht bieten, aber an und für sich schützt es hauptsächlich vor mechanischen Beschädigungen.

 

Neben dem Modell St. Stephan restauriert Ihr ja auch das große Stadtmodell von 1898. Hier habt Ihr auch einiges entdeckt?

Ja, mein Kollege Andreas Gruber und ich haben hierzu das Restaurierungskonzept erstellt, Kostenvoranschläge eingeholt und betreuen die externen Restaurator:innen. Diese haben unter anderem ein Figurenpaar vor der Staatsoper entdeckt, normalerweise ist das Modell ja unbemannt. Und Spiegel, die für den Stadtparkteich verwendet wurden und später mit Papier überklebt wurden. Es werden aber sicher noch viele weitere interessante Details und Entdeckungen auftauchen.

 

Neben den Restaurierungsarbeiten seid Ihr ja auch mit der Planung der neuen Depoträume beschäftigt?

Es wird ein großes Grafikdepot geben, das heißt, alle Highlights unserer Papier- und Grafiksammlung werden wieder im Haus sein. Wie die wertvollen Zeichnungen und Grafiken von Otto Wagner, Gustav Klimt, Egon Schiele. Und alle, die besonders oft für unsere Ausstellungen herangezogen werden oder als Leihgaben rausgehen. Es war ganz schön schwierig, sich im großen Team genau zu überlegen, was brauchen wir dazu für eine Raumausstattung, welche Bereiche braucht es, wie sind die Wege dazwischen, wie die Arbeitsabläufe, damit dann im Neubau auch die gewohnten und benötigten Arbeitsabläufe reibungslos funktionieren. Wichtig ist hier die Teamarbeit, da im Museum auch später zum Beispiel bei Ausstellungsvorbereitungen ja viele Fachbereiche und Abteilungen miteinander und ineinandergreifend arbeiten müssen.

 

Und dazu gibt es noch Nebenräume?

Ja, einen Vorbereitungsraum, in dem Objekte zwischengelagert oder bearbeitet werden, die in eine Ausstellung kommen oder verliehen werden. Dann gibt es einen Packraum, in welchem Leihgaben ein- und ausgepackt werden. Natürlich gibt es auch einen Quarantäneraum für Objekte, bei denen ein Schädlingsbefall vermutet wird oder für Leihgaben, von denen man nicht weiß, wo sie vorher gelagert waren. Außerdem ist der Arbeitsraum nahe dem Grafikdepot für Kurator:innen oder auch externe Wissenschaftler:innen geplant sowie weitere Räume für unterschiedlichste Tätigkeiten. Ein Kistendepot wird es noch geben, für die ganzen Klima- und Transportkisten. Für all diese Räume die Zugangswege, die erforderliche Ausstattung, die logistischen Abläufe auszutüfteln, ist ganz schön anspruchsvoll.

 

Und Ihr habt Eure Arbeitsräume auch wieder im Haus?

Ganz oben im hinteren Bereich des neuen Sonderausstellungsgeschosses werden die Werkstätten sein. Wir werden einen tollen Ausblick haben! Die Grafikrestaurierung ist direkt neben der Passepartourierung und Rahmung, mit der wir intensiv zusammenarbeiten.

 

Ist die Passepartouierung so ein großer Bereich?

Für die Papierrestaurierung ist das vor allem ein sehr wichtiger Bereich. Bei Otto Wagner zum Beispiel hatten wir gut 200, 300 Grafikobjekte, die alle individuelle Passepartouts brauchten. Alles Sonderanfertigungen. Also ja, schon sehr groß.

 

Auf was freust Du Dich, außer auf die schöne Aussicht?

Ich finde es auf jeden Fall sehr nett, dass da oben alle Restaurierungsbereiche zusammen sind: Papierrestaurierung, Passepartourierung und Rahmung, Gemälde- und Rahmenrestaurierung, Objektrestaurierung. Und dass wir einen direkten Zugang zur neuen Dauerausstellung und zu den Sonderausstellungen haben, was einfach sehr praktisch ist. Zudem werden die neuen Werkstätten super ausgestattet sein. Ganz andere Voraussetzungen als in den alten Büros am Karlsplatz, wo alles eher improvisiert war. Ich freue mich überhaupt auf das neue Haus, auf neue Gegebenheiten, auf neue Ausstellungen und neue Herausforderungen. Darauf, dass wir vielleicht auch mehr Zeitgenössisches zeigen werden.

 

Und abseits Deines Arbeitsbereiches?

Dass mit dem neuen Vorplatz vor dem Museum so eine Art Begegnungszone entsteht. Das finde ich gut. Derzeit ist es aber echt schwer, sich vorzustellen, wie alles aussehen wird. So ausgehöhlt wie das ganze Gebäude gerade dasteht.

 

Bist Du auch in die Planung der neuen Dauerausstellung einbezogen?

Jede Fachrichtung der Restaurierung und jede Abteilung sind projektbezogen involviert. Es geht vielfach darum, wie kann man etwas präsentieren, wie lange kann das Objekt ausgestellt werden, was muss durch ein Repro oder ein Faksimile ersetzt werden. Da prallen manchmal die Vorstellungen von Ausstellungsgestalter:innen, Kurator:innen und Restaurator:innen aufeinander. Und man muss einen guten Kompromiss finden, der einen guten Objektschutz bietet, aber auch die Besucher:innen anspricht. Oder wie soll die Rahmung im neuen Haus funktionieren? Welches System nimmt man, welche Größen, soll man Standardmaße definieren? Auch das ist eine Projektgruppe, die viele Grundsatzdiskussionen führt.

 

Du hast von „mehr Zeitgenössischem“ gesprochen. Das ist auch Dein zweiter Arbeitsbereich, Du betreust die musa-Sammlung.

Ja genau. Während des Umbaus des Wien Museums betreue ich zusätzlich die musa-Sammlung. Es gibt ein eigenes, großes Depot in Simmering mit einer der größten Sammlungen von moderner Kunst in Österreich. Dort bin ich zwei Tage die Woche. Sehr spannend! Es gibt nicht nur Grafiken oder Gemälde, es gibt irrsinnig viele Materialkombinationen, zwei- oder dreidimensionale Objekte aus den unterschiedlichsten Materialien. Dazu Rauminstallationen, Medienkunstwerke und die unterschiedlichsten konzeptuellen oder performativen Kunstwerke.

 

Hier geht es auch um Restaurierung und Konservierung?

Das ist in diesem Bereich sehr herausfordernd, da man hier aufgrund der Objekt- und Materialvielfalt nicht immer mit den gängigen Herangehensweisen oder konservierungsethischen Grundsätzen weiterkommt, sondern vieles überdenken und neue Herangehensweisen suchen muss. Aber ich arbeite gerade auch sehr viel an Leihgaben. Wie die Lieselott-Beschorner-Puppen, die gerade in Krems ausgestellt werden. Rund 120 Objekte haben wir dorthin geschickt. Letztes Jahr die Leihgaben an die Albertina Modern. Demnächst wird auch eine Margot-Pilz-Ausstellung in Krems mit vielen Fotos und Videostationen eröffnen. Generell gibt es immer mehr Leihanfragen im zeitgenössischen Bereich.

 

Für unsere aktuelle Ausstellung über Felix Salten im musa, die ja sehr papierlastig ist, war auch viel zu tun?

Der Job von Andreas und mir war, im Vorfeld jedes Objekt zu begutachten, zu schauen, hat es Restaurierungsbedarf, muss etwas gereinigt werden. Mit den Registrar:innen zu überlegen, wie kann das jeweilige Objekt bestmöglich präsentiert werden, was wünschen sich die Kurator:innen. Hängt es an der Wand, in der Vitrine? Wird das Buch aufgeschlagen, liegt es flach oder gekippt? Wir stellen auch Montagevorrichtungen her und legen die Objekte in die Vitrinen. Immer in Absprache untereinander. Ausstellungsarbeit ist die ultimative Teamarbeit.

 

Und bei der nächsten Ausstellung „Augenblick!“?

Foto gehört natürlich auch zu unserem Fachbereich dazu. Auch hier sind wir gut beschäftigt. Fotografie ist aber eigentlich das Spezialgebiet meines Kollegen Andreas Gruber.

 

Du bist im Betriebsrat des Wien Museums. Warum?

Mir ist generell unter Kolleg:innen ein guter Zusammenhalt, eine funktionierende Kommunikation wichtig. Natürlich auch ein gutes Arbeitsklima und dass man bei Problemen und oder bei rechtlichen Fragen gut unterstützt wird. Nur ein glückliches Team ist ein gutes Team.
 

 


Nora Gasser, geboren 1984 in Wien. Studium für Konservierung und Restaurierung an der Akademie der bildenden Künste Wien, Fachbereich Papier/Grafik mit zusätzlichem Schwerpunkt im Bereich moderne Materialien und zeitgenössische Kunst.  Von 2009 bis 2013 arbeitete sie im Technischen Museum Wien. Von 2012 bis 2015 war sie als freiberufliche Restauratorin im Kollektiv Papier&Moderne u.a. in verschiedenen Museen, Galerien und bei Privatkund:innen in den Bereichen Konservierung-Restaurierung, Ausstellungsvorbereitungen und -aufbau tätig. Seit 2014 arbeitet sie im Wien Museum, gemeinsam mit Andreas Gruber betreut sie den Fachbereich Papier. Seit 2019 ist sie auch für die restauratorische Betreuung der musa-Sammlung verantwortlich. Für Wien Museum Neu und in Vorbereitung der neuen Dauerausstellung betreut sie u.a. gerade die Restaurierung des Stephansdommodells und des Stadtmodells von 1898 und arbeitet an der Planung des neuen Depots und der Restaurierungswerkstätten mit.

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