Vorgestellt 46 │ November 2022
An der Universität hast Du Dich auf die provinzialrömische Archäologie spezialisiert. Was ist darunter zu verstehen?
Du weißt sicher, das römische Reich hat aus unterschiedlichen Provinzen bestanden. Und an der Uni Wien ist die römische, auf Rom fokussierte, von der provinzialrömischen Archäologie getrennt. Hier geht es konkret darum, wie sich die sehr unterschiedlichen Provinzen entwickelt haben. Eigentlich ein wenig komisch, — Rom ohne die Provinzen oder die Provinzen ohne Rom? Für mich gehört das zusammen. Für meine Masterarbeit war ich mit einem ganz anderen geographischen Raum, mit Ephesos in der Türkei, beschäftigt. Hier am Wien Museum bin ich mit Vindobona, das ebenfalls in einer römischen Provinz lag, befasst.
In Ephesos und in der Toskana hast Du an Ausgrabungen teilgenommen. Hast Du tatsächlich selber gegraben?
Ja, man gräbt selber und lernt die einzelnen Schritte. Eine absolut wertvolle Erfahrung, und es ist überhaupt reizvoll, mal nicht nur vor dem Computer zu sitzen. Auch wenn man nicht zu den Grabungsarchäolog:innen gehört, wie zum Beispiel Martin Mosser, den Du auch schon interviewt hast. (Vorgestellt Martin Mosser)
Wie stelle ich mir einen Grabungsalltag vor?
Je nach Land unterschiedlich, in Österreich anders als im Ausland. Ich rede jetzt von Forschungsgrabungen. Rettungsgrabungen, wie sie die Stadtarchäologie zum Beispiel beim U-Bahnbau macht, sind wieder etwas Anderes. Also in der Regel haben Professor:innen und Grabungsleiter:innen, den Grabungsort bestimmt und vorbereitet, auf Basis von Voruntersuchungen wie z.B. Georadar, durch die man weiß, ob dort überhaupt etwas ist. Als Grabungsteilnehmer:in wirst Du auf eine bestimmte Fläche eingeteilt, und da gräbst Du dann, von morgens bis abends.
Worauf musst Du beim Graben achten?
Wichtig ist immer, in welcher Erdschicht Du Dich befindest. Sobald Du merkst, es ändert sich die Farbe, der Charakter, meldest Du das der Leitung. Die Erdschichten werden eingemessen, fotografiert, dokumentiert, Proben werden entnommen, denn sich verändernde Erdschichten erzählen, dass sich hier etwas getan hat: Eine Fläche wurde planiert, eine Grube wurde angelegt oder ähnliches. Und mögliche Fundobjekte werden natürlich auch entnommen.
Du bist seit 2019 kuratorische Assistentin am Wien Museum, für Archäologie und Geschichte. Du hast u.a. die Wechselausstellung im Römermuseum mit Ausgrabungen von der Alten Post begleitet, und bist jetzt für die neue Dauerausstellung die Kapitelverantwortliche für das erste Kapitel, Naturraum und frühe Gesellschaften.
Ja, hier habe ich mich von meinem Fachgebiet wegbewegt, in die Ur- und Frühgeschichte hinein. Das Kapitel war grundsätzlich schon von Michaela Kronberger, mit Unterstützung von Kolleg:innen aus der Stadtarchäologie konzipiert, ich habe es erst im Mai 2020 übernommen. Es ist ein Riesenglück, das möchte ich kurz mal sagen, als Archäologin so einen Job, noch dazu unbefristet, zu bekommen, an so einem großen Haus wie dem Wien Museum arbeiten zu dürfen.
Was ist der Unterschied zwischen Ur- und Frühgeschichte?
Die Frühgeschichte bezeichnet den Abschnitt der Geschichte, für den wir bereits Schriftquellen haben, zum Teil auch aus anderen Kulturen. Aber nicht in gleichem Ausmaß wie in den „geschichtlichen“ Epochen, sodass man für viele Dinge immer noch auf die Archäologie angewiesen ist. Die Urgeschichte bezeichnet menschliche Geschichte, aber noch ohne Schriftquellen.
Und wie weit geht die Ausstellung zeitlich damit zurück?
Wir gehen Millionen Jahre zurück. Es fängt tatsächlich mit dem Urmeer an, als wir noch Teil eines großen Meeres, der Paratethys, waren. Es wurde dazu ein Naturraummodell entworfen, auf das ein Film projiziert wird, der die Entwicklung von Wien zeigt. Diese geologischen Zeitalter sind spannend, weil hier zum Beispiel Tonablagerungen entstanden sind, die dann später zur Ziegelproduktion geführt haben. Beim zweiten Teil des Kapitels geht es um die sogenannten frühen Gesellschaften. In etwa ab der Steinzeit.
Was erwartet die Besucher:innen?
Schon die Gestaltung ist interessant. Die frühen Gesellschaften werden sozusagen von der Römerzeit unterbrochen. Die Vitrinen gehen von der Steinzeit bis zu den Kelten, weiter geht es in das Kapitel 2, in das Römerkapitel, und von dort passiert man weitere drei Vitrinen über frühe Gesellschaften, bis man zur Besiedlung im Mittelalter, dem 3. Kapitel der neuen Dauerausstellung, kommt.
Also die Römer gehören auch zu den frühen Gesellschaften, und welche kommen dann noch, bis zum Mittelalter?
Nochmal zurück: Die frühen Gesellschaften fangen in der Altsteinzeit an, in der Wien ja noch nicht dauerhaft besiedelt war. Dann Jungsteinzeit, Kupferzeit, Frühbronzezeit… nach den Römern dann die Langobarden und Awaren. Die hätte man auch zum Mittelalter stecken können. Uns interessiert aber in diesem Kapitel: Wie haben die frühen Menschen hier gelebt? Wie sind sie mit dem Naturraum, mit ihrer Umgebung umgegangen? Was ist der Unterschied zwischen ihnen? So kam es zu dieser Einteilung.
Und was ist der Unterschied zwischen ihnen?
Die Römer sind eine urbane Gesellschaft. Hier gab es die ersten stadtartigen Zentren. Im Mittelalter ist Wien auch wieder eine Stadt, aber davor und dazwischen lebten die Gesellschaften eher in der Natur und haben diese verschieden genutzt. Dank dieser Einteilung und der räumlichen Lösung können wir die Siedlungsgeschichte und welche Auswirkungen diese auf die Natur hatte, besser erzählen.
Auf welche Objekte stoßen wir in der Frühzeit?
Aus der Zeit des Urmeeres haben wir selber keine Objekte in der Sammlung und daher Fossilien vom Naturhistorischen Museum ausgeliehen. Die schauen übrigens kaum anders aus als heute, die Muschel als solche hat sich nicht sonderlich geändert… In der Altsteinzeit stoßen wir auf einen großen Mammutstoßzahn, sicher ein Highlightobjekt. Bereits damals haben sich Menschen in Wien aufgehalten, das wissen wir durch einen fast 40.000 Jahre alten Pferdeknochen aus Nussdorf. Dann gibt es Objekte aus Siedlungskontexten aber auch aus Gräbern, denn Objekte aus Gräbern erhalten sich besser: Tongefäße, diverse Werkzeuge und Schmuck, bis zu reichen Grabobjekten wie Fibeln mit Silbereinlagen oder Gürtelgarnituren. Also auch von der Materialität ganz verschiedene Funde.
Wir reden immer von Wien. Ist das jetzt der Bereich Wien bis Stadtgrenze oder das gesamte Wiener Becken?
Der überwältigende Teil der Objekte stammt aus dem heutigen Stadtbereich. Aber nachdem Wien ja nicht immer gleich groß war, haben wir auch Objekte aus Vösendorf oder Mödling, die von 1938 bis 1954 zu Wien gehörten.
Kann man sagen, wie groß diese frühen Gesellschaften waren?
Das ist für die Frühzeit sehr schwer. Die Bevölkerungsgröße lässt sich über Funde grob bestimmen, in Wien ist vieles allerdings noch nicht ausgegraben. Aber alleine schon durch die naturräumliche Lage, durch die Donau, lässt sich schließen, dass Wien ein stark frequentiertes Besiedlungsgebiet war.
Was bringt uns das Wissen über die frühen Gesellschaften heute?
Alleine schon die Fragegestellung des Kapitels - wie sind die Menschen mit ihrem Naturraum, mit ihren Ressourcen umgegangen - ist eine sehr aktuelle. Gleich am Anfang links gibt es eine Wand zum Thema Umweltgeschichte, hier versuchen wir den Bezug zur Gegenwart herzustellen. Anhand der Ausgrabungen am Vorplatz des Wien Museums vor Baubeginn lässt sich beleuchten, wie der Mensch seine Umgebung beeinflusst, ausgenützt hat. In jeder Erdschicht findest Du Spuren von menschlichen Eingriffen, Straßenbauten, Kanaleinbauten, aber auch den radioaktiven Fallout von Atombombentests der 1950er-Jahre.
Ich hätte nicht gedacht, dass die Ausgrabungen vor drei Jahren und die begleitende Forschung zum Anthropozän bereits in die neue Dauerausstellung miteinfließen.
Wir versuchen immer wieder, aktuelle Forschungsergebnisse mit einzuarbeiten. Ganz aktuell die Ausgrabungen am Petersplatz, sie zeigen in der letzten Vitrine den Übergang zur mittelalterlichen Stadt. Auch bei den Awaren gibt es ganz aktuelle Ergebnisse. Diese Zusammenarbeit mit der Stadtarchäologie, mit Kolleg:innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ist total essentiell hier. Ich bin ja keine Frühhistorikerin.
Ich denke, auch über die Medienstationen können aktuelle Forschungsergebnisse aufgegriffen werden. Gibt es im ersten Kapitel nicht auch ein Stadtfenster, also eine AV-Station, über die das Thema Umwelt heute gespielt wird?
Genau, bei der Umweltwand. Das Stadtfenster funktioniert wie ein Wurmloch zurück in die Gegenwart, in der Ausstellung heißen sie „Zurück in die Gegenwart“. Hier wurde bei Fridays for Future gedreht und mit Menschen auf der Straße über die Klimakatastrophe gesprochen. Die Filme können immer wieder aktualisiert werden.
Unter der Federführung von Michaela Kronberger hast Du auch das 2. Kapitel, die Römerzeit, mit erarbeitet. Auf wie viel m2 dürfen die Römer Platz nehmen?
Naturraum, frühe Gesellschaften und Römerzeit zusammen auf etwa 90 m2. In der Römerzeit, hier geht es ganz stark um das Thema Menschen in der Stadt, kommen wieder ganz andere Formate vor. Ähnlich wie im Römermuseum zur Wechselausstellung „Alte Post“ wird es hier eine AV-Station geben, durch die Menschen, die hier vom späten 1. Jahrhundert bis ins frühe 5. Jahrhundert gelebt haben, zu Wort kommen. Von der Römerzeit wissen wir eben schon so viel, dass wir Menschen mit Namen und ihren Geschichten kennen und von ihnen erzählen können.
Zur Römerzeit gibt es ja auch das Römermuseum. Wie ist hier die Abstimmung?
Das Römermuseum deckt mehr oder weniger das gesamte Spektrum des römischen Wiens ab. In der Dauerausstellung fokussieren wir uns jetzt auf bestimmte Aspekte, auf das Leben in der Stadt, auf das Thema Wohnen. Zum Beispiel, wie hat ein römisches Türschloss funktioniert? Vieles können wir über Hands-ons vermitteln, also über Objekte, die tatsächlich in die Hand genommen werden können, wie eine Dachbaurekonstruktion samt Dachziegeln, die Replik eines Schlosses und Schlüssels, Hands-ons zum Thema Inschriften und Handschriften. Hier ist es eben auch spannend, dass es die erste urbane Gesellschaft war, die den Naturraum wieder ganz anders genutzt hat, Steine in großen Mengen abgebaut hat, Ziegel produziert und und und.
Und wie war die erste urbane Gesellschaft?
Ziemlich multikulturell. Die Soldaten und zum Teil auch die Zivilbevölkerung kamen aus unterschiedlichen Teilen des Reiches, Wien war damals wirklich schon international.
Was sind hier die Highlightobjekte?
Ein Teil der Wasserleitung, mitten im Raum. Die Wasserleitung begann wahrscheinlich im 23. Bezirk bei Kalksburg, im Bereich der Liesing. Eine Gravitationsleitung, immer leicht nach unten gehend, so dass man keine Viadukte brauchte. Eine anspruchsvolle Technik. Überhaupt ein total spannendes Thema. Und natürlich das Römische Stadtrechtsfragment, das ja über 100 Jahre im Depot lag und dessen wahre Bedeutung vor zwei Jahren Niklas Rafetseder, ein junger Historiker, entdeckte. Im Römermuseum ist es jetzt ausgestellt, aber kommt dann in die neue Dauerausstellung.
Wie findest Du denn die Entscheidung, die neue Dauerausstellung chronologisch anzulegen?
Die finde ich gut. Vor einiger Zeit war ich in einem Museum, wo man sich dagegen entschieden hatte. Ich habe dort auch mit Kolleg:innen gesprochen und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es für Leute, die sich auskennen, kein Problem ist, den Themen zu folgen, aber für die, die nicht so sattelfest sind, auch verwirrend sein kann. Chronologie, auch wenn sie vielleicht nicht so spannend ist, ist einfach ein wichtiges Grundgerüst. Und ich glaube, dass sie auch für die Vermittlung besser ist. Eine der ersten Fragen meiner Eltern, wenn ich ihnen von archäologischen Funden erzähle, ist: Wie alt ist das jetzt?
Jetzt laufen die Ausschreibungen für die Architektur, die Gestaltung der Dauerausstellung, einiges ist bereits im Bau. Was passiert gerade noch?
Ende November werden bereits die ersten Objekte für die Einbringung ins neue Museum verpackt. Das ist für mich noch eine Herausforderung, ich muss schauen, dass alle vorher noch fotografiert werden. Einige waren bis jetzt in der Restaurierung, andere wurden erst vor kurzem ausgewählt. Eingebracht werden die Objekte, abgesehen von den Großobjekten, dann, wenn wir auch schon vor Ort sind, also so ab April, Mai 2023.
Du bist 28 Jahre alt, also in einer Altersgruppe, die man in einem Stadtmuseum nicht gehäuft antrifft. Was wünschst Du Dir von einem Museum? Was spricht Dich grundsätzlich an?
Grundsätzlich sollten sich schon alle Menschen in einem Museum willkommen fühlen. Jüngere, ältere Altersgruppen, Menschen unterschiedlicher Herkunft. Für mich ist es wichtig, Neues zu entdecken. Ich finde es gut, wenn es interaktive, digitale Formate gibt. Aber vielleicht weil ich Archäologin und etwas altmodisch bin, finde ich Objekte schon sehr toll. Ein objektloses Museum ist nichts für mich. Total wichtig finde ich es auch, dass man sich vor dem Besuch gut informieren kann, dass die Website gut ist. Und, auch wenn das jetzt ganz banal klingt, dass die Museumsmitarbeiter:innen an der Kassa freundlich sind und englisch können. Dass man sich willkommen fühlt. Ich gehe ja in viele Museen und da gibt es einige, da denkt man sich, wollen die überhaupt, dass ich reingehe?
Ja, ich denke auch, dass die Ansprüche der heutigen Besucher:innen sehr hoch sind. Sie wollen emotional und kognitiv angesprochen werden. Apropos, wie spricht Dich denn der Umbau des Wien Museums an?
Voll. Ein tolles Erlebnis war es jetzt, beim Fotoshooting für diese Reihe, durch den neuen Eingang hineinzugehen. Ich habe zum Umbau auch ein ganz unbefangenes Verhältnis, habe nie im alten Haerdtl-Museum gearbeitet, trauere nichts nach. Ich glaube, dass es total gut sein wird. Wirklich beeindruckt hat mich das Erlebnis, auf der Gleichenfeier auf der Terrasse zu stehen.
Die Masterarbeit ist schon geschrieben, die Prüfung steht noch aus, kommst Du denn neben der Einrichtung der neuen Dauerausstellung zum Lernen?
Das ist ein bisschen schwierig. Ich hatte letztes Jahr Bildungskarenz genommen, die war schon sehr hilfreich. Also ich werde versuchen, die Prüfung noch dieses Jahr zu schaffen. Auch wenn es wirklich schwer ist, den Prüfungsstoff und die Dauerausstellung, Ephesos und Wien, parallel im Kopf zu haben. Danach überlege ich, noch einen PhD, ein Doktorratsstudium dranzuhängen, das thematisch mit meiner Arbeit im Wien Museum zusammenhängt.
Sophie Insulander, geboren 1994 in Sofia (Bulgarien), aufgewachsen in Wien. Masterstudium Klassische Archäologie an der Universität Wien mit Teilnahme an einer Lehrgrabung in Ephesos/Selçuk. Masterarbeit über „Prokonnesischer Marmor in der Architektur des kaiserzeitlichen Ephesos“. Während des Studiums Praktika im Wien Museum und am Centre National de Recherche Archéologique (CNRA) (Luxemburg), Mitarbeit an der ÖAW, Österreichisches Archäologisches Institut (ÖAI), in zwei wissenschaftlichen Projekten. 2019 kuratorische Assistenz im Department Archäologie und Geschichte bis 1.500 (inkl. Co-Kuratierung der Wechselpräsentation „Archäologie in der „Alten Post“. Ein Querschnitt durch die Stadtgeschichte“), seit Mai 2020 kuratorische Assistenz im Department Geschichte.
Sophie Insulander ist in der neuen Dauerausstellung Kapitelverantwortliche für Kapitel 1, Naturraum und frühe Gesellschaften, sowie Mitkuratorin für Kapitel 2, die Römerzeit.