Vorgestellt 24 │ Juli 2021
Wie wurdest Du die Depotverwalterin des Wien Museums?
Das kam wohl dadurch, dass ich während meiner Zeit als Textilrestauratorin ein kleines Depot in der Hermesvilla neu geordnet habe. Und mich um die Stickstoffbehandlung von Holzobjekten vor Ort gekümmert habe. Wie auch einige Zeit später um den Schädlingsbefall der Textilobjekte der Villa Wertheimstein im Bezirksmuseum Döbling. Vor der Übersiedlung in das neue Depot in Himberg stellte sich die Frage, wer die Arbeiten zur schädlingsfreien Bereitstellung der Objekte für die Einlagerung übernehmen würde. Mich hat das Tätigkeitsfeld interessiert. Dadurch habe ich viel im Depot gearbeitet und wurde schließlich gefragt, ob ich die Verwaltung übernehmen möchte.
Du bist also unsere oberste Schädlingsbekämpferin?
Kann man so sagen. Das Monitoring macht jedoch Pasqual Querner, ein externer Biologe. Wir besprechen die Ergebnisse und ich setze die Maßnahmen um.
Was sind Deine Aufgaben?
Organisation und Supervision: Ich bin eine Schnittstelle zwischen Restaurator:innen, Registrar:innen, Kurator:innen, der Sammlungsleitung, der Ausstellungsproduktion und den Fotograf:innen. Ich bearbeite ihre Fragen und Wünsche und koordiniere, wenn notwendig, die verschiedenen Termine. Ich betreue die Kunstspeditionen, die im Haus sind, und kümmere mich um die Lagertechnik und zum Teil um Materialbestellungen. Zu meinen Aufgaben zählt auch das Arthandling, das heißt das Einlagern und Ausheben von Objekten. Bei größeren Objekten helfen mir die Herren der Internen Services, die vor Ort sind, oder Kunstspeditionen. Und ich gebe die Standorte der Objekte in die Datenbank ein. Ich betreue die Reinigungskräfte im Depot und organisiere auch die jährliche restauratorische Reinigung der Außenstellen. Außerdem bin ich noch für die Bearbeitung der Objekte mit tatsächlichem oder vermutetem Schädlingsbefall verantwortlich.
Das hört sich nach viel Arbeit an.
(Lacht) Ja, aber ich habe auch ein gutes Team in Himberg. Mit Elke Wikidal, die die Grafiksammlung betreut, und Franz Lehner, Andreas Sommer und Andreas Waldek von den Internen Services bilde ich ein super Team für die anfallenden Arbeiten. Darauf bin ich auch stolz und freue mich, wenn ich Interessierte aus anderen Sammlungen durch das Depot führen darf.
Du bist für das Depot in Himberg verantwortlich, nicht für das in Simmering?
Ja, das reicht. Das Depot Moderne Kunst betreut der Kollege Klaus Mayr-Luong.
Wie groß ist Himberg?
ca. 10.000 m2.
Wie viele Kilometer gehst Du am Tag durch das Depot?
Das weiß ich nicht. Auf alle Fälle genug, um beim Nachhausegehen müde zu sein.
Wie viele Objekte lagern hier?
Rund eine Million.
Was sind die Highlights? Was lohnt sich zu stehlen?
Haha. Einige der Highlight-Objekte sind nicht zum Stehlen, weil sie einfach zu groß sind… wie der Wal … oder so gut zerlegt … wie das Stephansdom-Modell…
Hast Du auch ein Lieblingsobjekt?
Was mir am besten gefällt, sind die Ballspenden. Klein und handlich. Aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammend, waren das kleine Präsente für die Damen, die zu den Tanzkarten bei Bällen ausgegeben wurden. Auf den Karten konnte sich der Herr in festgelegter Tanzreihenfolge mit der Dame schriftlich verabreden. Bei den Technikerbällen waren das oft detailgetreue Miniaturen der technischen Innovationen der Zeit, wie Lokomotiven, Stellwerke etc.
Ist es manchmal gruselig im Depot, zwischen so vielen toten Dingen?
Nein, das nicht. Ich versuche immer, eine Art Beziehung zum Objekt aufzubauen, auch wenn ich es nicht wirklich schön finde. Manchmal würde ich aber schon gerne wissen, welche Schwingungen da durch das Haus gehen.
Wie ist die Einteilung des Depots, welche Abteilungen gibt es?
Das Lapidarium, die Steinsammlung, ist im Erdgeschoß, wegen des Gewichts der Objekte. Dann gibt es die Depots für archäologische Objekte, für das Kunstgewerbe, Fahrzeuge wie den Kreisky-Rover, die Möbelsammlung, Geschoße für 3-D-Objekte aus den verschiedenen Sammlungsgebieten, Gemälde, Mode, Uhren, Grafik, und das Metallgeschoß unter anderem mit den Objekten aus dem Wiener Bürgerlichen Zeughaus.
Deine Lieblinge sind sicher in der Kostümsammlung zu finden?
In der Hutsammlung! Mit vielen der Hutobjekte habe ich mich schon als Restauratorin beschäftigt. Ich liebe die großen Wagenradhüte um 1910, und auch besonders die Hüte der Adele List. Phantastisch, wie sie das Material verarbeitet hat.
Bist Du selber auch eine Hutträgerin?
Ja, ich habe mir sogar vor drei Jahren bei einem Workshop einen Hut selbst angefertigt.
Wie sieht der aus?
Eine Art Panamahut. Jetzt bei dem Wetter erspart mir die breite Krempe die Sonnenbrille.
Können wir anhand von Objekten, die in die neue Dauerausstellung kommen, besprechen, wie der Weg des Objekts im Depot ist?
Es gibt Objekte, die schaffen es gar nicht bis in den direkten Depotbereich. Der Walfisch zum Beispiel ist über neun Meter lang und vier Meter hoch. Im Außenbereich war keine Überdachung möglich, die den in Himberg oft heftigen Winden hätte standhalten können. Er steht deswegen jetzt letztendlich in einer der LKW-Boxen. Dort wurde er auch restauriert und wartet gut abgedeckt, bis er noch vor allen anderen Objekten ins neue Museum eingebracht wird. Vor der Restaurierung hat ihn sich unser Biologe Pasqual Querner auf einen eventuellen Schädlingsbefall genau angesehen. Der Wal hat innen ein Holzgerüst, sodass man ins Innere gelangen kann. So konnte er feststellen, dass kein Befall der Trägerkonstruktion sichtbar ist. Vor der Einbringung ins Museum muss der Zustand jedoch nochmals genau kontrolliert werden.
Die Einbringung wird sehr abenteuerlich sein?
Und die Aufhängung erst! Aber die wirkliche Herausforderung in Zukunft wird sein, ihn im Museum hängend zu reinigen, was jährlich passieren muss. Das wird bei der Kutsche und beim Stephansdom-Modell ähnlich schwierig werden.
Das Stephansdom-Modell aber ging den normalen Weg, zuerst in die Stickstoffkammer?
Genau. Zerlegt in den Transportkisten, in welchen es vom Dachboden des Stephansdoms abgeseilt wurde. Alle hatten übereinandergestapelt in der Stickstoffkammer mit rund 45 m2 Platz. Nach 5 Wochen Behandlung mit einem Restsauerstoff-Gehalt von 0,4%, 24 Grad Celsius und 50 Prozent relativer Luftfeuchte konnten die Kisten dann ins Depot gebracht werden. Nachdem es ein großes Modell ist, das in zahlreichen holzverstärkten Kartonkisten verpackt ist, besetzt es jetzt zwei Podestanlagen mit Überbau und einen Teil der Freifläche. Die Restaurierung hat bereits begonnen. Wenn ein Teil fertig ist, wird dieser professionell fotografiert, dann wieder verpackt, und die Restaurator:innen sagen mir, welchen Teil sie als nächstes bearbeiten möchten.
Was wird gerade noch restauriert?
Der Pompejanische Salon. Ein Objekt aus bemaltem Textil und Holz. Da gab es auch gerade ganz tolle neue Erkenntnisse, die die Restaurator:innen beschäftigen. Hier wird jetzt die Malerei gefestigt, die auf einem Textil aufgebracht ist, das auf einen Holzrahmen gespannt ist. Paneele dieser Art wurden als Wandverkleidung verwendet. Ein sehr aufwendiger Vorgang, der, weil die Paneele Raumhöhe haben, nicht in, sondern vor den Werkstätten, also direkt im Depot stattfinden muss. Darüber bin ich eigentlich nicht sehr glücklich. Ich halte daher mit der beauftragten Restauratorin ständig Kontakt.
Das Loos-Zimmer wird auch restauriert?
Ja, aber das ist für mich nicht so spannend im Gegensatz zum Arabischen Zimmer. Dass so ein Kunstwerk zwei Weltkriege unbeschadet überdauert hat, dann am ursprünglichen Ort, einer Wiener Wohnung, ausgebaut wurde und nun wieder gezeigt werden kann, beeindruckt mich. Auch hier sind nicht nur die Möbel vorhanden, sondern auch alle Textilien wie Teppiche und Pölster.
Hast Du Dir auf der Baustelle angeschaut, dass für den Pompejanischen Salon sogar die Decke leicht gehoben wurde, damit er besser hineinpasst?
Das letzte Mal war ich beim Fotoshooting da, aber das habe ich nicht gesehen. Ich bin ja im Grafikdepot fotografiert worden. Da habe ich die Wurzelkörbe der Bäume gesehen, die in den Depoträumen stehen. Ich bin gespannt, wie das über die Jahre funktionieren wird.
Wenn ein Objekt von einer Ausstellung zurückkommt, muss es dann auch wieder in Quarantäne?
Normalerweise nicht, es sei denn es handelt sich um ein Textilobjekt. Diese kommen nach jedem “Ausflug” wieder in die Quarantäne, bevor sie an ihren Platz zurückgereiht werden. Während des Corona-Lockdowns waren wir da allerdings vorsichtiger. Da gab es Ausstellungen, die wegen des Lockdowns die Objekte nicht zurückschicken konnten, die Objekte mussten länger am Ausstellungsort verbleiben. Aus Sicherheitsgründen haben wir die Objekte damals beim Eingang nochmals behandelt.
Müssen auch Steine oder Münzen in Quarantäne?
Nein, amorphe Materialien nicht. Es sei denn, das Material wird so verarbeitet, dass kleine Hohlräume entstehen, die nicht zu reinigen sind und in denen sich Insekten einnisten könnten. Oder wie jetzt bei der Neuerwerbung von Objekten der Section N. Hier kommt der Schriftzug, der am Geschäftslokal angebracht war, auch in die Stickstoffkammer, denn alle Bereiche konnte die Restauratorin nicht reinigen.
Worauf freust Du Dich im neuen Museum?
Ich finde schön, dass man viel mehr zeigen kann, dass es einen großzügigen Rundgang durch die Dauerausstellung gibt. Auch auf die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte Wiens freue ich mich. Sorge habe ich um die Großobjekte in der Halle. Sie werden viel Staub ausgesetzt sein, den die hoffentlich vielen Besucher:innen leider mit sich bringen und bewegen werden.
Also kommst Du, wenn es fertig ist, auch ab und an ins Museum?
Ja, natürlich. Die Ausstellungen sind ja immer sehr interessant. Wenn es dann auch noch eine Kuratorenführung mit viel Hintergrundinformationen gibt, freue ich mich besonders. Auch für die Planung der IPM Maßnahmen und der Reinigung wird ein Rundgang wichtig sein. Genauso, wie man sein Zuhause reinigt, muss man das auch im Museum tun. Wenn das nicht getan wird, besteht die Möglichkeit eines Schädlingseintrags und eines damit einhergehenden Befalls von Objekten. Allerdings gehe ich vor der Eröffnung in Pension. Dann komme ich privat, in aller Ruhe… und sehe, wie bei der Eröffnung und darüber hinaus mit Essen und Getränken im Museum umgegangen wird.
Essen und Getränke im Museum magst Du gar nicht?
Es gibt so eine IPM-Checkliste, da stehen sie ganz oben.
Wenn das Wien Museum am Karlsplatz wieder öffnet, ist das Depot dann leer?
Nein! Aber dann wird endlich wieder ein bisschen mehr Platz sein für neue Objekte. Dafür sind dann auch wieder beide LKW-Boxen frei.
Viktoria Wagesreiter, geboren 1960 in Wien. Nach der HBTL für wirtschaftliche Frauenberufe und dem Kolleg für Textiltechnik mit der Fachrichtung Weberei absolvierte sie ein Praktikum bei einer Wiener Textilrestauratorin und arbeitete bei der Teppichrestaurierung Adil Besim. 1983 kam sie für den Ausstellungsaufbau „Die Türken vor Wien“ an das Historische Museum der Stadt Wien in die Modesammlung. Sie führte 2006 das IPM (Integrated Pest Management = Integrierte Schädlingskontrolle) für die Modesammlung ein und übernahm diese Arbeit 2012 für die gesamte Sammlung des Wien Museums und seiner Außenstellen. Seit 2017 verwaltet sie das Depot Himberg des Wien Museums.