Walter Öhlinger

Kurator

Vorgestellt 26 │ August 2021

 

 

Vor 32 Jahren kamst Du direkt vom Studium der Geschichte und Germanistik ans Wien Museum?

Ich habe lange Zeit als Buchhändler gearbeitet und erst später, nebenbei, studiert. Eigentlich hatte ich mich bei der Stadt Wien als Bibliothekar beworben, bin dann aber ins Museum gekommen, das damals noch direkt zur Stadt gehörte.

 

Als Kurator?

Kurator:innen gab es damals eigentlich nicht, man nannte sie Fachreferent:innen. Aber ich habe wie die meisten Kurator:innen zuerst an Ausstellungen mitgearbeitet und nach und nach eigene Sammlungsbereiche übernommen.

 

Hat sich das Berufsbild von Kurator:innen in den vergangenen Jahren verändert?

Die Ausstellungs- und Sammlungsarbeit gab es immer, aber wie man diese ausübt, hat sich schon komplett gewandelt. Alleine schon durch die Digitalisierung. Als ich hier anfing, gab es noch keinen Computer, dafür ausgeklügelte Karteikartensysteme.

 

Wie hat sich das Wien Museum seither entwickelt?

Die Vermittlung ist mehr ins Zentrum gerückt, die Ausstellungstexte wurden wichtiger. Statt Sonderausstellungen zu einzelnen Künstler:innen gab es immer mehr Ausstellungen zu stadthistorischen Themen. Die Dauerausstellung aber ist in dieser Zeit fast gleichgeblieben. Die ist dafür jetzt unser großes Thema.

 

Das wurde dann ja auch Zeit. Ist nicht auch das Thema Besucher:innen immer größer geworden?

Die Besucheranzahl ist immer weiter gestiegen, wie auch die Marketingmaßnahmen immer mehr wurden. Werbung oder Pressearbeit, das waren zu meiner Anfangszeit noch keine Themen. Da gab es Plakate in geringer Auflage, das war’s.

 

Haben Stadtmuseen grundsätzlich heute andere Aufgaben als früher?

Eigentlich schon. Es wird viel mehr über die Aufgabe des Museums selbst reflektiert. Für wen werden die Ausstellungen gemacht? Wer ist mein Zielpublikum? Was kommt in die Sammlung? Es werden viel mehr Objekte aus der Gegenwart gesammelt. Lange Zeit ist dem 20. Jahrhundert überhaupt wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.

 

Du bist für die Sammlungen „Politische Geschichte und Stadtchronik“ sowie „Rechtswesen vor 1918“ zuständig, und für das „Bürgerliche Zeughaus“. Was ist letzteres?

Eine riesige Waffensammlung. Die aber nicht als Museumssammlung entstand, sondern das sind die Waffen, die die Stadt Wien im Laufe der Jahrhunderte gekauft hat, um die städtischen Verteidigungstruppen, wie die Bürgerwehr, im Kriegsfall auszurüsten. Diese Waffen wurden im Zeughaus, einem Gebäude Am Hof 9–10, das es heute noch gibt, aufbewahrt. Bereits im 18. Jahrhundert wurde aus der militärischen Waffensammlung immer mehr ein Museum, die älteren Waffen wurden der Öffentlichkeit präsentiert. 1887 wurde es schließlich Teil des neugegründeten Historischen Museums der Stadt Wien im Rathaus.

 

Kommen diese Waffen in der neuen Dauerausstellung vor?

Einige davon, Waffen wie Rüstungen. Vor allem im Zusammenhang mit der Osmanischen Belagerung von 1683.

 

Und sammelst Du heute noch neue Objekte aus der Zeit vor 1918?

Für das Zeughaus nicht, das ist eine in sich abgeschlossene Sammlung. Aber sonst schon, der letzte Ankauf war das Flugblatt über einen Mord im jüdischen Ghetto im Jahr 1665 aus Privatbesitz, in unserem Online- Magazin ist dazu ein Artikel erschienen.

 

Wie entdeckt man so etwas?

Ich beobachte die Auktionskataloge und werde auch von Antiquitätenhändler:innen oder Sammler:innen kontaktiert. Und es gibt auch immer wieder Schenkungen.

 

Und was kostet so ein Flugblatt?

In diesem Fall möchte der Verkäufer nicht, dass der Preis bekannt wird. Aber in der Regel kosten alte Drucke ein paar Hundert Euro. Manchmal auch ein paar Tausend.

 

Was waren hier am Wien Museum zurückblickend Deine schönsten Projekte?

Auf alle Fälle die Ausstellungen, die ich als Kurator sehr selbständig verantwortet habe, wie die erste „Das Rote Wien-Ausstellung“ 1993 oder 1998 „1848 Das tolle Jahr. Chronik einer Revolution“. Oder in letzter Zeit die große Reformationsausstellung „Brennen für den Glauben. Wien nach Luther 2017“, die ich gemeinsam mit Rudolf Leeb und Karl Vocelka gemacht habe. Das war eine sehr interessante Sache.

 

Ist die Ausstellungsarbeit die interessanteste?

Schon, dabei lernt man immer Neues, muss sich neuen Herausforderungen stellen. Leider wenig sichtbar, dabei aber genauso wichtig ist die Arbeit an der Sammlung, die Pflege, die Inventarisierung.

 

Für die neue Dauerausstellung bist Du für die Kapitel 4 und 5, das sind Residenz- und Festungsstadt 1526 bis 1683 sowie die Osmanische Belagerung 1683, gemeinsam mit Michaela Kronberger, und für die Kapitel 6 und 7, Barock und Aufklärung (1683 - um 1790) und Franzosenkriege bis bürgerliche Revolution (um 1790-1848) gemeinsam mit Elke Doppler, verantwortlich. Was werdet Ihr erzählen, wo liegen Eure Schwerpunkte?

Es beginnt mit der Zeit, in der Wien eine dauerhafte Residenzstadt der Habsburger wird. Was heißt das für die Stadt? Der regierende Landesherr musste sich gegen die traditionellen städtischen Institutionen durchsetzen. Das war mit wilden Geschichten verbunden, mit Hinrichtungen von Bürgermeistern und so weiter. Und es geht um die Zeit der Reformation, auch eine konfliktträchtige Zeit. Dann erben die Habsburger noch Ungarn und müssen sich auch dort erst durchsetzen, während das Osmanische Reich auch in Ungarn interveniert - und so wird Wien über eineinhalb Jahrhunderte zur Konfrontationsstelle. Eine Stadt am Rande zu einem anderen Imperium.

 

Und dann kam es zur Osmanischen Belagerung 1683.

Und die nimmt in der Ausstellung insofern eine Ausnahmestellung ein, als wir hier ein punktuelles Ereignis besonders genau beleuchten. Anhand dessen wir fragen, wie verschieden Geschichte rezipiert wird. Wozu wurde es später benützt, wie unterschiedlich wurde es dargestellt?

 

Wie hat sich Wiens Stadtbild als Residenzstadt geändert?

Damals sind die großen Festungsanlagen rund um die Stadt entstanden, die Stadtmauer aus dem Hochmittelalter wurde zu einer massiven Festungsanlage ausgebaut. Die die Stadt auch ganz stark einerseits räumlich eingeschränkt, andererseits auch abgehoben hat, von der Vorstadt außerhalb der Mauern.

 

Wie sind Eure Ideen zur Umsetzung im Raum?

Weil das Kapitel 5 inhaltlich eine Besonderheit ist, versuchen wir, es auch architektonisch etwas anders zu gestalten. Mit Gegenüberstellungen von Objekten, die die Belagerung aus der Sicht der Sieger und aus der osmanischen Sicht zeigen. Und mit einer starken Kommentarebene drum herum, die sich textlich und bildlich mit diesem Geschehen auseinandersetzt.

 

Hier sind wir ja im neuen Museum noch im Erdgeschoss. In den nächsten Kapiteln kommen wir einen Stock höher.

Wobei man unten in der Halle schon in das Innere des Modells Sankt Stephan blicken kann und den Donnerbrunnen sieht, bevor man in den ersten Stock gelangt. Das verweist schließlich auf das Barock. Wir kommen jetzt in die Zeit Maria Theresias und Josefs II., die Zeit, als sich das barocke Wien in das aufgeklärte Wien wandelt. Auch wenn der Wandel nicht allzu groß ist.

 

Wie zeigt sich der Wandel?

Es ist die Zeit der vielen Reformen im Zeichen der Aufklärung, die berühmte Einführung der Schulpflicht, die Auflösung der Klöster und Verbannung der Friedhöfe aus der Stadt.

 

Wie den Friedhof am Karlsplatz?

Genau, oder den direkt bei Sankt Stephan. Sie werden ersetzt durch neue Friedhöfe entlang des Gürtels, die dann wiederum durch den Zentralfriedhof ersetzt wurden. Diese Entwicklung ist nur eines von vielen Zeichen, dass die Stadt säkularer wird. Anstelle der Klöster entstehen Kasernen. Eine große Veränderung, die sich durch eine Vielzahl kleiner Veränderungen ankündigt, ist die Ersetzung der Hausschilder.

 

Hausschilder wie den „Schmeckenden Wurm“?

Ja, oder dem „Roten Igel“. Sie wurden durch Hausnummern ersetzt. In der Aufklärung wurde versucht, alle Bewohner:innen Wiens zu erfassen, vor allem die männlichen, um sie zum Militär einziehen zu können. Wir haben eine ganze Reihe sehr netter alter Schilder, die in einem kleinen Kapitel innerhalb des sechsten Kapitels zu sehen sein werden.

 

Wie wurde nummeriert?

Man begann mit der Hofburg, Nummer Eins, dann wurden alle Häuser der Stadt durchnummeriert, aber noch ohne Orientierungssystem. Wie es heute noch in manchen Dörfern der Fall ist. Die Nummerierung nacheinander links und rechts der Straße kam erst 1882.

 

Dann kommen wir zu den Franzosenkriegen bis zur bürgerlichen Revolution 1848.

Im Biedermeier geht es uns um den Gegensatz von Sein und Schein, von Idylle und Wirklichkeit. Um die berühmte Biedermeier-Kultur in Wien mit den bekannten Maler:innen wie zum Beispiel Peter Fendi und Ferdinand Waldmüller und dem großartigen Kunsthandwerk dieser Zeit, entwickelt von einem Bürgertum, das sich aufgrund der starken politischen Repressionen sehr ins Privatleben zurückgezogen hat. Gleichzeitig bahnt sich aber unter der Oberfläche die Revolution an….

 

Für diesen Gegensatz habt Ihr auch eine spannende architektonische Lösung gefunden?

Ja, mit einer sogenannten Kaskade, das sind sich verengende Hängewände, die am Fluchtpunkt mit der Darstellung der Revolution von 1848 enden. Und indem wir die idyllischen Darstellungen mit Fakten aus dem Alltag der Bewohner:innen konterkarieren.

 

Welches Objekt funktioniert in diesen Kapiteln für Dich besonders gut?

Der Huberplan, der die Stadt und die Vorstädte im 18. Jahrhundert von oben zeigt. Ein Google Maps seiner Zeit, unglaublich aussagekräftig, das zeigt, wie enorm schnell die Stadt gewachsen ist. Oder ganz kleine Dinge, wie das Flugblatt zur Hinrichtung von Franz Hebenstreit. Es gab Ende des 18. Jahrhunderts in Wien kleine Intellektuellenzirkel, die sich für die Französische Revolution begeistert haben, die sogenannten Jakobiner. Ein unterbelichtetes Kapitel der Wiener Stadtgeschichte, das wir mit diesem Flugblatt aufrollen. Sie wurden alle verhaftet, zu langen schweren Kerkerstrafen verurteilt, Hebenstreit hingerichtet.

 

Wir sprachen anfangs darüber, dass die Vermittlungsarbeit so stark geworden ist. Wie ist das während der Planung der neuen Ausstellung?

Unseren Vermittler:innen werden alle Kapitelkonzepte präsentiert, so dass sie frühzeitig reagieren können. Man muss ja zum Beispiel einfach darauf achten, dass genügend Platz vor dem Objekt für Führungen vorhanden ist.

 

Du hast natürlich auch den Wettbewerb Wien Museum Neu mitverfolgt.

Ja sicher. Jetzt noch darüber zu diskutieren finde ich aber eher müßig. Es hätte viele Wege geben können, auch an anderer Stelle ein ganz neues Museum zu bauen. Das hätte ich mir auch gut vorstellen können. Aber ob das jetzt besser gewesen wäre? Der Karlsplatz hat auf jeden Fall Vorteile, schon, weil er so nahe zur Innenstadt ist.

 

Nächstes Jahr gehst Du in Pension?

Irgendwann muss einmal Schluss sein. Ich bin ja noch Beamter, als solcher habe ich ein Datum, an dem ich in Pension gehen muss.

 

Du kommst aber zur Eröffnung des neuen Museums?

Wenn ich darf, komme ich schon vorher schauen.

 

Worauf freust Du Dich?

Ich bin komplett neugierig auf die neue Dauerausstellung, ob das alles dann so aufgeht, wie wir uns das überlegt haben.

 

 

 

Walter Öhlinger, geboren 1957 in Ried im Innkreis; 1983 bis 1988 Studium der Geschichte und Deutschen Philologie in Wien, seit 1989 Mitarbeiter im Historischen Museum der Stadt Wien / Wien Museum. Seine Sammlungszuständigkeit liegt in der Politischen Geschichte und Stadtchronik vor 1918 und dem Bürgerlichen Zeughaus, seine Forschungsinteressen in der Wiener Stadtgeschichte und politischen Geschichte. Zuletzt kuratierte er die Ausstellung „Brennen für den Glauben. Wien nach Luther“ (2017, gemeinsam mit Rudolf Leeb und Karl Vocelka). Zahlreiche Publikationen wie auch die Monographien Wien im Aufbruch zur Moderne (Geschichte Wiens, Band V), Wien 1999, und Wien zwischen den Türkenkriegen (Geschichte Wiens, Band III), Wien 1998, Kataloge, Katalogbeiträge, Editionen, Aufsätze und Vorträge.

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